Investmentfonds.de
23.05.2005:
Threadneedle: Auswirkungen der EU-Referenden
Köln, den 23.05.2005 (Investmentfonds.de) - William Davies, Head of European
Equities, erläutert im aktuellen Marktbericht seine Sichtweise bezüglich der
bevorstehenden Referenden zur EU-Verfassung.
Die Kommentare und Analysen hinsichtlich der bevorstehenden Referenden zur EU-
Verfassung füllen Bände. Laut der jüngsten Umfrage haben sich 25% der Franzosen
noch nicht entschieden. Von den übrigen würden 51% mit nein und 49% mit ja
stimmen, während angeblich drei Viertel der niederländischen Wähler unschlüssig
sind. Da lohnt es sich kaum, sich an den Spekulationen über den Ausgang dieser
zwei Wahlgänge zu beteiligen. Interessanter sind die voraussichtlichen Aus-
wirkungen der Wahlergebnisse auf die Märkte.
1. Szenario: Positives Votum in Frankreich und positives Votum in den
Niederlanden
Dieses Ergebnis ist kurzfristig am uninteressantesten, da es die Aufmerksamkeit
lediglich auf das nächste Land lenken würde, in dem das Referendum abgehalten
wird. In Luxemburg stehen die Abstimmungen im Juli an, und in Dänemark finden
sie voraussichtlich im September statt. Weitere Referenden sind für Irland,
Portugal, die Tschechische Republik, Portugal und Großbritannien geplant. In der
Zwischenzeit würde der Markt die Was-wäre-wenn-Szenarien, die wir aus den ver-
gangenen Monaten kennen, weiter durchspielen.
Wenn alle diese Abstimmungen und die Ratifizierungen in den Parlamenten derjenigen
Länder, die sich für ein solches Vorgehen entschieden haben, positiv verlaufen,
befinden wir uns in einer neuen Welt mit einheitlichen Arbeitsgesetzen und einer
überregionalen EU-Aufsicht über viele Bereiche der Gesetzgebung, vom Transportwesen
über die Einwanderung bis hin zur Außenpolitik und der Raumfahrt.
Dieses Szenario fürchten sowohl der linke Flügel in Frankreich (der davon ausgeht,
dass es zu stärker angelsächsisch geprägten Arbeitsgesetzen kommen könnte und sich
die historische Macht der Gewerkschaften verringern würde) als auch der rechte
Flügel in Großbritannien (wo die Angst vor der Übernahme europäischer Arbeitsgesetze
Spekulationen über das Erstarken der Gewerkschaften und eine Lähmung des Arbeits-
marktes nach dem Vorbild der 70er Jahre auslöste).
Beide Argumente sind nicht vollständig von der Hand zu weisen, denn die neuen
Gesetze befänden sich irgendwo zwischen der aktuellen britischen und französischen
Rechtslage.
Welche Konsequenzen hätte dies für die Investoren? Die reflexartige Schlussfolgerung
„Großbritannien verkaufen, Europa kaufen“ könnte ein wenig voreilig sein. Da das
britische Wirtschaftswachstum im Jahr 2006 das Wachstum in Kontinentaleuropa voraus-
sichtlich immer noch übersteigen dürfte und die Unternehmen ohne weiteres Arbeit in
andere Länder auslagern können, wären die Ratifizierungen für britische Unter-
nehmen nicht komplett negativ.
Aus gesamteuropäischer Sicht würde eine vollständige Ratifizierung das derzeitige
„Opting-Out-System“ durch ein einfacheres Mehrheitswahlrecht ersetzen, das
theoretisch den Weg für die Aufnahme weiterer potentieller Mitglieder in die Union
und den Euro erleichtern würde. Das könnte das Vertrauen in die Wirtschaft und die
Risikobereitschaft der Investoren steigern, und das wären gute Nachrichten für
gesamteuropäische Aktien.
2. Szenario: Positives Votum in Frankreich und negatives Votum in den
Niederlanden
Was geschehen würde, wenn die Verfassung in einem Land wie den Niederlanden
nicht ratifiziert würde, ist unklar. Wahrscheinlich würden die Parolen in den
unentschlossenen Ländern zunehmend aggressiver und möglicherweise würde eine
fortgesetzte Diskussion zu Marktvolatilitäten führen, aber das Investmentumfeld
würde sich nicht über Nacht verändern.
3. Szenario: Negatives Votum in Frankreich
Kurzfristig wäre das sehr interessant. Es existieren zwar keine eindeutigen Regeln
für den Fall, dass ein großes Land die Verfassung ablehnt, aber ein negatives Votum
der Franzosen würde die Verfassung mit Sicherheit torpedieren und der EU-Erweiterung
einen Schlag versetzen. Sehr wahrscheinlich würden andere Länder bei einem Nein aus
Frankreich für eine Überarbeitung der Verfassung plädieren – und vermutlich würde
sich auch London dieser Forderung anschließen, denn ein solches Ergebnis würde Tony
Blair von einem möglicherweise unbequemen Referendum in Großbritannien befreien, das
derzeit für 2006 auf der Agenda steht.
Wichtiger für uns ist die Frage, wie die Märkte auf ein negatives Votum reagieren
würden. Kurzfristig wäre nur eines sicher: Unsicherheit. Die Marktteilnehmer wären
besorgt über den Weiterbestand des Euro (obwohl dies unseres Erachtens eine grundlose
Sorge ist) und über die Aussichten für die jüngsten EU-Beitrittsländer. Weite
Kreise gehen davon aus, dass ein negatives Votum für diese Nationen keine gute
Nachricht wäre, aber wir sind uns da nicht so sicher. Tatsächlich müssten sie
wahrscheinlich längere Wartezeiten bis zur Übernahme des Euro in Kauf nehmen und
ihr erst kürzlich errungener Status als „Konvergenzländer“ würde teilweise in
Mitleidenschaft gezogen.
Dennoch würden sie auch weiterhin von den Vorteilen des freien Handels profitieren.
Und in vielen Fällen sind die Arbeitsgesetze in diesen Ländern flexibler als
diejenigen, die ihnen von der EU-Verfassung vorgeschrieben würden.
Gut geführte Unternehmen, die in einer einigermaßen starken Wirtschaft in den Rand-
staaten Europas gute Produkte herstellen, werden sich in einem solchen Szenario gut
entwickeln. Während sich der Markt noch mit den politischen Feinheiten der nächsten
Ereignisse befasst, sind wir bereits heute der Meinung, dass ein negatives Votum
hervorragende Chancen schaffen würde, diese Unternehmen zu günstigen Bewertungen
zu erwerben. Und wenn sich Verwirrung und Unsicherheit am Markt breit machen, wie
wir es infolge eines französischen „non“ erwarten, werden wir genau das tun.
Quelle: Investmentfonds.de
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