Investmentfonds.de
14.07.2010:
AXA IM: Überlebt die Eurozone die Schuldenkrise?
Köln, den 14.07.2010 (Investmentfonds.de) - Überlebt die Eurozone die
aktuelle Schuldenkrise? Kurz gesagt: Ja. Dabei handelt es sich allerdings
um eine bedingte Wahrscheinlichkeit und keine absolute Gewissheit, die vom
geordneten Abbau der gegenwärtigen Spannungen und der Umsetzung dreifacher
Reformen abhängt. Die erste dieser Reformen bezieht sich auf die fiskalische
Kontrolle im Euroraum. Hier sind Maßnahmen wahrscheinlich, um das
augenscheinliche Phänomen des fiskalischen „Trittbrettfahrens“ zu unterbinden.
Der zweite Reformkomplex bezieht sich auf die einzelstaatlichen Haus-
haltsvorschriften und befindet sich infolge des Drucks vom Anleihemarkt
bereits in der Umsetzung. Danach soll sichergestellt werden, dass die
öffentliche Verschuldung nicht aus dem Ruder läuft. Die dritte Reform
schließlich beschäftigt sich mit der Steuerung der strukturellen Divergenzen
innerhalb der Europäischen Währungsunion (EWU). Dabei handelt es sich auf
lange Sicht um die größte Herausforderung für die gemeinsame Währung. Zugleich
wird diese Problematik unter wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern am
wenigsten durchschaut.
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Drei Reformen, um die Zukunft des Euro zu sichern
Die aktuelle Krise wirft die zentrale Frage nach der Tragfähigkeit der
spanischen Staatsfinanzen auf, nachdem die Märkte bereits die hohe Wahrschein-
lichkeit einer Insolvenz Griechenlands eingepreist haben. Das entspricht
auch den Fundamentaldaten. Spanien ist jedoch zweifelsohne zahlungsfähig.
Schauen wir uns das einmal anhand eines Gedankenexperiments an. Nehmen wir
an, dass die gesamten Problemkredite des spanischen Bankensektors in der
Bau- und Immobilienbranche (166 Mrd. Euro nach den Zahlen der spanischen
Zentralbank) abgeschrieben werden müssen und die Regierung das System mit
neuen Mitteln in gleicher Höhe rekapitalisiert. Die sozusagen ins Bankensystem
eingebauten umfangreichen Kapitalpolster ignorieren wir dabei. Damit würde
die von der EU-Kommission auf 73 Prozent des BIP prognostizierte Staats-
verschuldung 2011 um 17 Prozent steigen und läge somit bei 90 Prozent,
ein Niveau, das auch Großbritannien und Frankreich Prognosen zufolge zu
diesem Zeitpunkt erreicht haben dürften. Selbst wenn Spanien eine höhere
Risikoprämie zahlen muss und das potenzielle Wachstum nur halb so hoch
ist wie in den Boomjahren (und das wird der Fall sein), ist ein solcher
Schuldenstand immer noch tragbar. Spanien ist zahlungsfähig und seine
derzeitige Liquiditätskrise wird sich als vorübergehend erweisen.
Eine Anmerkung zur Logik
Bevor wir uns langfristigeren Themen zuwenden, ist zunächst eine logische
Prämisse zu klären. Die Währungsunion baut auf zwei Kernprinzipien auf: ein
unabhängiger Währungshüter und die Ablehnung des fiskalischen Föderalismus,
d. h. Steuertransfers zwischen den Mitgliedsstaaten sind nicht vorgesehen.
Während das erste Prinzip nicht mehr zu Diskussion steht, ist eine wachsende
Zahl von Analysten der Ansicht, dass der Euro ohne fiskalische (und damit
politische) Union zum Scheitern verurteilt ist. Da die fiskalische Union
von den Völkern Europas abgelehnt wird, müssen diese Analysten zwangsläufig
zum Schluss gelangen, dass der Euro eher früher als später scheitern wird.
Die Issing/Feldstein-Debatte
Ich bin anderer Ansicht. Der fiskalische Föderalismus wurde bereits vor
rund zwanzig Jahren debattiert und nichts deutet darauf hin, dass die
gegenwärtige Krise die damals gezogenen Schlussfolgerungen grundlegend geändert
hat. Die Anfang der 1990er Jahre geführte Debatte lässt sich folgendermaßen
zusammenfassen: Prof. Otmar Issing , einer der Gründungsväter des Euro und
seinerzeit Chefvolkswirt der Bundesbank sowie späteres Direktoriumsmitglied
der EZB, war zunächst skeptisch, was das Funktionieren einer Währungsunion
ohne gleichzeitige politische Union betraf. Im Zuge seiner geldpolitischen
Analysen gelangte Issing jedoch zu der Auffassung, dass eine Währungsunion
ohne politische Union (d. h. ohne fiskalischen Föderalismus) angesichts der
engen rechtlichen sowie handels- und kapitalpolitischen Verflechtungen
zwischen den Ländern Europas nicht nur möglich, sondern sogar ratsam sei.
Ratsam deswegen, weil andernfalls eine Situation entstünde, in der Zeiten
der Währungsstabilität mit hohen Risikoprämien und politischen Spannungen
sich mit unruhigen und von wettbewerbsbedingten Währungsabwertungen geprägten
Phasen abwechseln. Ich halte diese These gerade vor dem Hintergrund der
Kreditkrise von 2007 bis 2009 umso wahrscheinlicher. Möglich, sofern zwei
Voraussetzungen erfüllt sind: eine unabhängige, der Preisstabilität
verpflichtete Zentralbank und das klare Bekenntnis aller Euro-Mitglieder
zur fiskalischen Stabilität, festgeschrieben in einem fiskalischen
Verhaltenskodex. Die gegenteilige – euroskeptische – Meinung wurde von Prof.
Martin Feldstein von der Harvard University vertreten, der 1997, zwei Jahre
vor der Geburt des Euro, schrieb: „Falls die EWU zustande kommt (…), wird
dies den politischen Charakter Europas auf eine Weise ändern, die zu
Konflikten in Europa und zu Konfrontationen mit den Vereinigten Staaten
führen könnte.” Da die Länder Europas nach Feldsteins Fundamentalanalyse
keinen optimalen Währungsraum darstellen, würde die Währungsunion entweder
scheitern oder jene innereuropäischen Spannungen erzeugen, die in der
Vergangenheit regelmäßig zu Kriegen geführt hatte. Während am Markt die
euroskeptische Sicht vorherrschte, gab es dennoch gegenläufige Sichtweisen.
So war Gavyn Davies, seinerzeit Chefökonom bei Goldman Sachs, im Gegensatz
zur Mehrheit der Analysten in der City of London, von der politischen
Entschlossenheit der EU-Entscheidungsträger überzeugt und kam zu dem Schluss,
dass der Euro auf dem richtigen Weg sei. 1998 zahlte es sich dann aus,
ein „Kontrarier“ zu sein.
Die Krise hat Issings Sichtweise bestätigt
Während die aktuellen Ereignisse Feldsteins Erkenntnisse weder bestätigt noch
widerlegt haben – das wird sich erst mit der Zeit zeigen –, haben sie doch
zumindest Issings Auffassung bestätigt. Soweit bekannt, wurde der Wohlverhaltens-
kodex, also der Stabilitäts- und Wachstumspakt 2004 von mehreren Ländern
missachtet, allen voran Deutschland und Frankreich. Damit wurde einer Haushalts-
politik der „Trittbrettfahrer“, vor allem in Griechenland, Tür und Tor geöffnet.
Dabei muss auch betont werden, dass das weder bei Irland noch Spanien oder
Italien der Fall war. Dennoch würde eine Besinnung auf fiskalpolitische Vernunft
nicht ausreichen, um die Tragfähigkeit des Euro zu gewährleisten: Aus der
gegenwärtigen Krise sind wichtige Lehren zu ziehen, die wir jetzt nachvollziehen
und in konkrete Reformen umsetzen müssen.
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Quelle: Investmentfonds.de
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