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05.06.2014:
Vontobel: Frankreich – weder Rückenwind noch Gegenwind
Köln, den 05.06.2014 (Investmentfonds.de) -
Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel
In seiner aktuellen Markteinschätzung analysiert Christophe Bernard,
Chefstratege bei Vontobel, die Situation Frankreichs:
Der «Train à Grande Vitesse», einer der erfolgreichsten Hochge-
schwindigkeitszüge der Welt und Inbegriff französischer Ingenieurskunst,
ist etwas aus der Spur geraten. Angesichts der schwachen Wirtschaft und
der Widerstände gegen Veränderungen ist die zweitgrößte Wirtschaft der
Eurozone schon lange hinter Deutschland als treibende Kraft der Eurozone
zurückgefallen. Es könnte jedoch Licht am Ende des Tunnels geben. Die
von Präsident François Hollande geplanten Reformen sind ein Anfang –
vorausgesetzt, sie werden richtig umgesetzt. Eine Wiederbelebung der
französischen Wirtschaft wäre ein entscheidender Faktor für eine Ver-
besserung des langfristigen Ausblicks für die Eurozone.
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Zuerst zu den positiven Aspekten: Die Finanzkrise hat Frankreich
nicht aus der Bahn geworfen. Tatsächlich hat das Land wirtschaftlich
weniger gelitten als Deutschland. So fiel 2009 das französische
Bruttoinlandsprodukt um 2,9 Prozent, während Deutschland einen
Rückgang von 5,1 Prozent erlebte – und es geriet im Zuge der Krise
in der Eurozone nie unter finanzielle Bedrängnis (siehe Grafik 1).
Frankreich erlitt nicht das Schicksal «peripherer» Nationen wie
Irland, Griechenland, Italien, Spanien oder Portugal, die entweder
ein Rettungsprogramm der so genannten Troika – bestehend aus dem
Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und
der Europäischen Kommission – oder Unterstützung der EZB für ihre
Staatsanleihenmärkte benötigten, um einen möglichen Zahlungsausfall
abzuwenden.
Doch Frankreich leidet unter einer wirtschaftlichen Stagnation, und
die Staatsverschuldung nähert sich der Marke von 100 Prozent des
Bruttonationalprodukts (BIP). Das Land hat zu kämpfen, um das Ziel
einer Reduzierung des Haushaltsdefizits auf drei Prozent des BIP bis
2015 zu erreichen. Die Handelsbilanz ist noch immer negativ, die
Arbeitslosenrate steigt, und in der Industrie werden Stellen abge-
baut. Die starke und anhaltende wirtschaftliche Schwäche im Vergleich
zu Deutschland seit 2010 zeigt sich in einem wachsenden Abstand bei
der Wettbewerbsfähigkeit – ein Prozess, der Anfang der 2000er-Jahre
begonnen hat (siehe Grafik 2). Darüber hinaus hat das französische
Volk das Vertrauen in die traditionelle «Classe Politique» verloren,
was durch das starke Abschneiden der rechtsgerichteten Front
National bei den Europawahlen deutlich wurde.
Im Gegensatz zu Spanien oder sogar Italien unternimmt Frankreich
keinerlei ernsthaften Versuche, seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken,
das übermäßige Gewicht des öffentlichen Sektors zu verringern und/oder
das langfristige Wachstumspotenzial zu steigern. Auch hat die
sozialistische Regierung die einzigen signifikanten Reformen, die
die konservative Vorgängerregierung durchgeführt hatte, verwässert
beziehungsweise rückgängig gemacht, nämlich die Nicht-Wiederbesetzung
von einer bei zwei frei werdenden Stellen im Staatsdienst und die
Erhöhung des Rentenalters. Infolgedessen zehren der stetig wachsende
finanzielle Druck und die endemische Unfähigkeit, die öffentlichen
Ausgaben einzudämmen an den lebensnotwendigen Kräften und hemmen das
Wachstum – und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem in den Ländern der
europäischen «Peripherie» eine Belebung zu beobachten ist. Tatsache
ist, dass Frankreich (neben Dänemark) in Europa die höchsten öffent-
lichen Ausgaben im Verhältnis zum BIP hat, nämlich 56 Prozent im
Vergleich zu 44 Prozent in Deutschland und 32 Prozent in der Schweiz.
Natürlich hat der französische Staat maßgeblich zum historischen
Erfolg von Unternehmen wie Airbus und Ariane im Luft- und Raumfahrt-
sektor, dem Atomkraftprogramm sowie dem Hochgeschwindigkeitsnetz
beigetragen. Doch diese glorreichen Tage scheinen vorüber zu sein.
Statt Innovation voranzutreiben, ist die Regierung vor allem bestrebt,
die Auswirkungen der industriellen Veränderungen auf die Wirtschaft
des Landes zu begrenzen.
«Pakt der Verantwortung» könnte die Ausgabenbremse ziehen
Zuletzt stellte François Hollande in einer 180-Grad-Wende einen
ehrgeizigen «Pakt der Verantwortung» vor, mit dem die Kosten der
Unternehmen gesenkt und gleichzeitig die öffentlichen Ausgaben um
50 Milliarden Euro gekürzt werden sollen. Dies ist zumindest auf
rhetorischer Ebene eine größere Veränderung und somit als positiv
zu betrachten. Die Details müssen jedoch noch ausgearbeitet werden,
und die entsprechenden Vorschläge werden auf Widerstände in der
eigenen Sozialistischen Partei des Präsidenten stoßen – die
Tatsache, dass viele Parteimitglieder schlechte Aussichten auf
eine Wiederwahl haben, dürfte dabei kaum hilfreich sein. Anders
als Spanien, das sich nach tiefgreifenden, schmerzhaften Reformen
im Aufschwung befindet, haben die «Opfer», die das französische
Volk bringen musste, bislang noch keine greifbaren Ergebnisse
gebracht, und dies diskreditiert die gesamte politische Klasse.
Der «Pakt der Verantwortung» ein durchaus positiver Schritt,
aber sein Erfolg wird davon abhängen, ob er sich umsetzen lässt
oder nicht.
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anlagen und vor allem die Aktienmärkte erhalten weiter Unterstützung
durch die Liquiditätsspritzen der Zentralbanken, niedrige Zinsen
bei Staatsanleihen und ordentliche Unternehmensgewinne. Es ist
reichlich Liquidität vorhanden, und die Anlegerstimmung hat noch
nicht das Maß an Euphorie erreicht, das normalerweise den Höhepunkt
markiert. Dies vorausgeschickt, ist uns durchaus bewusst, dass die
Bewertungen bestenfalls angemessen sind und dass für weitere
Kursanstiege reichlich und billige Liquidität nötig sein wird.
Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel
Quelle: Investmentfonds.de
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