Investmentfonds.de
19.10.2018:
Aberdeen Standard Brexit-Kommentar: Gute Gründe für eine Fristverlängerung
Köln, den 19.10.2018 (Investmentfonds.de) -
Jeremy Lawson, Leiter des Aberdeen Standard Investments Research Institute
Aufgrund der festgefahrenen Brexit-Verhandlungen denkt die EU wohl über eine
Verlängerung der Übergangsfrist für die Briten nach. Jeremy Lawson, Leiter des
Aberdeen Standard Investments Research Institute, kommentiert die
Wahrscheinlichkeit einer Verlängerung und die weiteren Folgen der
Brexit-Verhandlungen:
"Es gibt gute Gründe für die Europäische Union, die Frist für den Abschluss der
Vertragsverhandlungen über die künftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich
zu verlängern - nicht zuletzt aufgrund der Gefahr schwerer Verwerfungen im Falle
eines Ausstiegs ohne Vertrag. Aus Sicht der EU sind die Vermeidung einer harten
irischen Grenze und die Integrität des Binnenmarkts nicht mit einem Ergebnis
ohne Deal vereinbar. Die Verlängerung der Übergangsphase nach Artikel 50 ist
daher besser als ein Brexit ohne Abkommen.
Gleichzeitig sind die wirtschaftlichen und politischen Risiken bei einem
Ausstieg aus der EU ohne ein Abkommen, eine wirksame Abschreckung für
Großbritannien. Beide Verhandlungsteams bleiben daher an einer Lösungsfindung
interessiert.
Ein Austrittsabkommen müsste bis Januar 2019 vereinbart und verabschiedet werden,
damit die Ratifizierung in den nationalen Parlamenten der gesamten EU bis Ende
März erfolgen kann. Wenn eine Einigung nicht rechtzeitig zustande kommt, wäre
eine Verlängerung erforderlich, um einen abrupten Ausstieg zu vermeiden. Da ein
Austrittsabkommen allerdings nicht die genauen Bedingungen für die künftigen
Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU festlegen müsste,
gehen wir davon aus, dass die umstrittensten Fragen während einer verlängerten
Übergangszeit erörtert werden könnten, sofern zuvor eine Auffanglösung (backstop)
für die irische Grenze gefunden wäre.
Wenn die EU zustimmt, den Übergang zu verlängern, wird dies aber wohl mit
Bedingungen verbunden sein. Es ist nicht von einer Bereitschaft der
politischen Entscheidungsträger in Brüssel auszugehen, die Artikel
50-Verhandlungen zu verlängern, nur um irgendwann in der Zukunft von den
Auseinandersetzungen innerhalb der Konservativen Partei aus der Spur geworfen
zu werden.
Die Notwendigkeit, die politische Sackgasse zu verlassen, dürfte die Aussicht
erhöhen, dass das Vereinigte Königreich eher früher als später vorgezogene
Parlamentswahlen abhalten wird. Die nächste nationale Abstimmung ist nicht vor
Mai 2022 geplant. Die oppositionelle Labour-Partei hat bereits eine Neuwahl
gefordert.
Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass jedes Abkommen, welches
Premierministerin Theresa May mit der EU vereinbart, im Parlament abgelehnt
werden wird - was zu einem Misstrauensvotum gegenüber der Regierung oder einem
neuen Referendum führen würde.
Die Konservativen dürften eher ein zweites Referendum durchführen als eine
Neuwahl, die sie verlieren könnten. Insbesondere angesichts des Fehlens eines
klaren Nachfolgers von Theresa May. Ein neues Referendum könnte drei Optionen
umfassen: in der EU bleiben, die EU ohne Abkommen verlassen oder den bestehenden
Abkommensrahmen, der mit Brüssel ausgehandelt wurde, anzuerkennen.
Unabhängig davon, ob Theresa May in der Lage ist, einen Deal auszuhandeln oder
nicht, dürfte sie früher oder später von ihrem Amt zurücktreten - entweder aus
eigenem Antrieb oder weil sie von den Brexit-Hardlinern ihrer eigenen Partei
dazu gezwungen wird. Auch wenn die Meinungsumfragen zeigen, dass die
Labour-Partei hinter den Konservativen zurückbleibt, könnten anhaltende
Spaltungen der regierenden Parteien über ein von Theresa May abgeschlossenes
Abkommen die Wähler in Richtung Opposition treiben. Und eine Labour-Regierung
würde mit ziemlicher Sicherheit eine Neubewertung der Risiken vornehmen,
insbesondere kurzfristig.
Vor diesem Hintergrund gilt es, die Auswirkungen auf die Märkte genau im
Auge zu behalten."
Quelle: Investmentfonds.de
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