Investmentfonds.de
25.11.2019:
Märkte mit Mumm: Ein positives Quartal macht noch keinen Konjunkturfrühling.
Köln, den 25.11.2019 (Investmentfonds.de) -
Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel
Die deutsche Konjunktur hat im dritten Quartal mit voraussichtlichen 0,1 Prozent
anders als erwartet ein hauchdünnes positives Wachstum erzielt. Damit konnte die
sogenannte "technische Rezession" - also zwei Quartale hintereinander mit negativen
Raten - vermieden werden. Gleichzeitig wurde die Wachstumsrate für das zweite
Quartal auf -0,2 Prozent nach unten korrigiert.
So oder so steckt die deutsche Volkswirtschaft aber weiterhin in einer ausgeprägten
Wachstumsdelle. Dabei bleibt das Kernproblem die Industrie, deren Produktion schon
seit dem Frühjahr 2018 nahezu kontinuierlich sinkt. Im September lag die
Industrieproduktion um 4,3 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. Ursächlich für
die Schwäche sind sowohl ein normaler zyklischer Abschwung nach der Boomphase bis
Ende 2017 als auch strukturelle Probleme einzelner Industriezweige, vor allem im
Automobilsektor, mit einem Anteil von knapp 5 Prozent an der Bruttowertschöpfung
einer der wichtigsten Branchen in Deutschland. Die Autobauer befinden sich in einer
Transformationsphase mit mehreren großen Herausforderungen gleichzeitig. Neben dem
weitgehend selbst verursachten Imageverlust und dem daraus resultierenden
Absatzeinbruch beim Diesel-Motor, müssen enorme Investitionen in die Entwicklung
alternativer Antriebstechnologien und digitaler Dienstleistungen, etwa zum autonomen
Fahren, bewerkstelligt werden.
Zusätzlich wird besonders die sehr exportabhängige deutsche Industrie weiter durch
die laufenden Handelskonflikte sowie den sich hinziehenden Brexit-Prozess belastet.
Diese geopolitischen Faktoren erhöhen die Unsicherheit für Unternehmer aus nahezu
allen Branchen und in fast allen Regionen weltweit. Vor diesem Hintergrund wurden
Investitionen zurückgehalten. Diese dürften größtenteils erst nachgeholt werden, wenn
sich konkrete Hinweise auf einen Wegfall der Belastungsfaktoren abzeichnen. Bisher sind
diese jedoch kaum absehbar. Im Gegenteil könnten auch diesbezüglich gerade auf die
deutschen Autobauer besondere Herausforderungen erst noch zukommen.
Immerhin stabilisierten sich zuletzt die Auftragseingänge der deutschen
Industrieunternehmen mit einem leichten Plus im September in Höhe von 1,3 Prozent
verglichen mit dem Vormonat. Im Vorjahresvergleich jedoch liegen noch immer über
5 Prozent weniger Aufträge vor. Auch die weiterhin boomenden Bauinvestitionen konnten
die Lage mit einem Anteil von knapp 10 Prozent am Bruttoinlandsprodukt nur teilweise
stabilisieren.
Damit richtet sich die Hoffnung der Volkswirte auf den Konsum, der die verbleibende
konjunkturelle Dynamik in Deutschland bisher noch aufrecht hielt. Der viel beachtete
GfK-Konsumklimaindex befindet sich im November mit 9,6 Punkten zwar noch auf einem
relativ hohen Niveau, allerdings ist seit Anfang 2019 auch hier eine leichte
Negativtendenz unverkennbar. Zwar nutzen Viele die niedrigen Zinsen zu erhöhten Ausgaben,
jedoch belastet zunehmend die Angst vor Kurzarbeit oder gar einem Arbeitsplatzverlust die
Stimmung der Verbraucher. Hier steht derzeit neben der Automobilindustrie, die inkl.
Zulieferer immerhin über eine Million Arbeitnehmer beschäftigt, vor allem die deutsche
Windenergiebranche im Fokus.
Ob die deutsche Konjunktur die Talsohle bereits erreicht hat, wird sich somit erst in den
kommenden Monaten zeigen. Je länger sich die Flaute in der deutschen Industrie hinzieht,
umso stärker werden die negativen Auswirkungen auf den Konsum und damit die
Belastungsfaktoren für die konjunkturelle Entwicklung. Aufschluss darüber geben die
laufenden Veröffentlichungen wichtiger konjunktureller Frühindikatoren, wie der
Einkaufsmanagerindizes oder des ifo-Geschäftsklimaindex.
An den Kapitalmärkten ist die realwirtschaftliche Situation nur teilweise eingepreist.
Zumindest die zuletzt wieder deutlich gestiegenen Aktienmarktnotierungen wurden vor allem
durch die - vollkommen nachvollziehbare - Aussicht auf weiterhin niedrige Zinsen und die
Hoffnung auf Fortschritte in den Handelskonflikten sowie beim Brexit getragen. Weitere
Verzögerungen oder gar Rückschritte in den laufenden Verhandlungen könnten daher
kurzfristig für Korrekturen sorgen. Auch die Mitte Dezember anstehende Parlamentswahl
in Großbritannien könnte Anleger beunruhigen, wenn Boris Johnson die angestrebte Mehrheit
für seine konservative Partei verfehlt. Eine Ratifizierung des mit der EU ausgehandelten
Austrittsvertrags geriete dann in Gefahr und könnte den Brexit-Prozess erneut verzögern.
Mit Blick auf 2020 bleiben die Perspektiven für die internationalen Aktienmärkte
aber positiv, vor allem weil die expansive geldpolitische Ausrichtung bedeutender
Notenbanken erhalten bleibt.
Quelle: Investmentfonds.de
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