Investmentfonds.de
25.11.2019:
J.P. Morgan AM: Japanische Verhältnisse in Europa?
Köln, den 25.11.2019 (Investmentfonds.de) -
Tilmann Galler, globaler Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management
Die konjuktur- und geldpolitischen Maßnahmen sind vergleichbar
Fiskalpolitik wird künftig die Hauptlast der Krisenbekämpfung übernehmen müssen
Können Parallelen auch für die Kapitalmarktentwicklung gezogen werden?
Die Experten von J.P. Morgan Asset Management fühlen sich durch die aktuelle
Entwicklung in Europa zusehends an Japan seit den 1990er-Jahren erinnert:
unterdurchschnittliches Wachstum, fallende Inflationsraten, ein Feuerwerk an
geldpolitischen Maßnahmen und eine auf Jahre hin zementierte Negativzinspolitik.
Zudem unterstützt die Europäische Zentralbank die Forderung nach einem Anstieg der
Staatsausgaben, um die volkswirtschaftliche Nachfrage zu stützen und letztendlich
die Schwächephase in Wachstum und Inflation der letzten zehn Jahre zu überwinden.
Auf die Frage, ob Europa das neue Japan ist, gibt es laut Tilmann Galler, globaler
Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, jedoch unterschiedliche
Antworten - es komme darauf an, ob man die Sichtweise eines Ökonomen oder eines
Anlegers hat.
Ökonomische Sicht: Wahl der konjuktur- und geldpolitischen Mittel als
Blaupause "Aus der Sicht eines Ökonomen bietet Japan gerade bei der Wahl der
konjunktur- und geldpolitischen Mittel eine fast beängstigende Blaupause für den
Weg Europas", erklärt Tilmann Galler und nennt als Beispiel die demographische
Entwicklung: Japan erlebte mitten in der Krise eine demographische Gezeitenwende.
Seit 1993 begann die arbeitsfähige Bevölkerung zu schrumpfen, die Folge waren ein
immer geringeres Wachstumspotenzial und steigende Risiken in der Altersvorsorge.
"In der Eurozone sinkt die arbeitsfähige Bevölkerung seit 2009, dem Höhepunkt der
Finanzkrise", erklärt Tilmann Galler. Die UN schätzt in den kommenden 20 Jahren
einen Rückgang pro Jahr von rund -0,45 Prozent für die Währungsunion und von -0,7
Prozent für Japan. "In fünf Jahren, wenn die geburtenstarken Jahrgängen in Rente
gehen, wird man sich wahrscheinlich wehmütig an die Zeiten des Hauhaltsüberschusses
erinnern", betont Galler. Dennoch sei das demographische Problem in Europa aufgrund
von höherer Einwanderung nicht so ausgeprägt wie in Japan.
Auch bei der Geld- und Fiskalpolitk gibt es Parallelen: Über einige Krisen in den
letzten Jahrzehnten hinweg ist die Bruttoverschuldung Japans mit 236 Prozent des
BIP heute die höchste der Welt. "Die Bank of Japan hat seit 20 Jahren eine quasi
Nullzinspolitik implementiert und durch die zahlreichen Kaufprogramme ist die
Zentralbankbilanz auf über 100 Prozent des BIP angeschwollen", analysiert
Tilmann Galler. Die EZB habe in den letzten Jahren die Zinsen ähnlich stark gesenkt,
hinke aber bei den quantitativen Maßnahmen der Bank of Japan hinterher. "Die Bilanz
hat bisher zwar erst 38 Prozent des BIP erreicht. Da die Wirksamkeit von Negativzinsen
aber zusehends in Zweifel gezogen wird, kann die EZB den Einlagensatz in den kommenden
Jahren nicht viel weiter nach unten treiben", stellt Galler fest. Bei der nächsten
Konjunkturkrise bliebe nach den Erfahrungen Japans nur noch das Mittel einer Ausweitung
der Kaufprogramme und der gezielten Einflussnahme auf die Zinsstrukturkurve. "Die
Fiskalpolitik wird aus diesem Grund zukünftig die Hauptlast der Krisenbekämpfung
übernehmen müssen", unterstreicht Tilmann Galler. Aus diesem Grund werde es in der
Eurozone sehr wahrscheinlich zu einer Art Hysteresis-Effekt kommen - also einer
Fortdauer der Wirkung trotz Wegfall der Ursache. "Jede zukünftige Krise katapultiert
die Staatsschuld pro BIP dann auf ein neues Level, ähnlich wie wir es in Japan gesehen
haben", so Galler.
Anleger-Sicht: aufgrund unterschiedlicher Ausgangslage keine Schlüsse für
Europa möglich. Für die Rentenmärkte hoher Bonität in Europa ist die Aussicht auf
eine anhaltende Niedrigzinsphase laut Tilmann Galler keine gute Nachricht. "Ähnlich
wie bei japanischen Anleihen birgt einzig eine weitere Verflachung der Zinsstrukturkurve
noch Ertragspotenzial für die nähere Zukunft", erklärt der Experte.
Bei Aktien stoße der Vergleich jedoch an seine Grenzen: Japan erlebte in den 80er-Jahren
einen gewaltigen Aktien- und Immobilienboom, in der letzten Phase benötigte der
Nikkei-Index nur vier Jahre, um seinen Wert auf sein Allzeithoch von 39.000 Punkten zu
verdreifachen. 1989 erreichte der Nikkei-Index ein Kurs-Gewinn-Verhältnins (KGV) von 70.
"Das enorme Ausmaß der Überbewertung in Japan hat dazu geführt, dass der Aktienmarkt
selbst 30 Jahre nach dem Platzen der Blase die früheren Höchststände bisher nicht erreicht
hat, und damit der japanischen Stagnation zusätzlichen Schrecken verliehen hat", führt
Galler aus. Allerdings sei anzumerken, dass die Unternehmensgewinne pro Aktie im
vergangenen Jahr nicht nur ein neues Allzeithoch erreicht haben, sondern auch inzwischen
doppelt so hoch sind wie zum Höhepunkt der Aktienblase 1989", analysiert der Experte.
Die Fallhöhe der Märkte in Europa war im Gegensatz dazu geringer. Der MSCI Europa
hatte am Vorabend der globalen Finanzkrise in 2007 ein KGV von 13,5.
So ist das Fazit des Experten: "Aus den Erfahrungen der Japankrise lassen sich aus
Investorensicht für die zukünftige Entwicklung europäischer Aktien keinerlei Schlüsse
ziehen, da die Ausgangslage vor der Krise hinsichtlich Bewertung nicht zu vergleichen
ist", erklärt Tilmann Galler.
Quelle: Investmentfonds.de
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