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23.02.2022:
NN IP Kommentar | Russlands aktueller Vorstoß in die Ukraine: Was nun?
Köln, den 23.02.2022 (Investmentfonds.de) -
Marcin Adamczyk, Head of Emerging Market Debt
bei NN Investment Partners
und
Marco Willner, Head of Investment Strategy
bei NN Investment Partners
Russlands aktueller Vorstoß in die Ukraine: Was nun?
Kommentar von Marco Willner, Head of Investment Strategy,
und Marcin Adamczyk, Head of Emerging Market Debt,
bei NN Investment Partners
- Weitere Einsätze in dem von der Ukraine kontrollierten Donbass-Gebiet
sind das Hauptrisiko
- Fixed-Income-Märkte könnten Zuflucht erleben
- Europäische Aktien könnten nach Ausverkauf später wieder steigen
Am 21. Februar unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin ein
Dekret zur Anerkennung der ukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk.
Russische Truppen rückten als "Friedenstruppen" in die beiden Gebiete ein.
Diese Maßnahmen stellen eine Eskalation der Ukraine-Krise und das Ende des
Minsker Rahmenabkommens von 2014 für den Frieden in der südöstlichen
Donbass-Region des Landes dar. Was könnte das für die Kapitalmärkte bedeuten?
Angesichts der jüngsten Entwicklungen ergeben sich drei Schlüsselfragen:
- Wird Russland die Unabhängigkeit der gesamten Donbass-Region anerkennen?
Die Separatisten halten nur ein Drittel der Region. Im Moment sieht es so aus,
als würde die russische Regierung mit der vollständigen Anerkennung der beiden
Separatistengebiete warten.
- Wie wird die ukrainische Armee auf die russischen Truppen in Donezk und
Luhansk reagieren? Wenn die russischen Truppen innerhalb des bereits von den
Separatisten gehaltenen Gebiets bleiben, könnten sich die militärischen
Auseinandersetzungen in Grenzen halten. Sollten die russischen Truppen jedoch
in die nicht besetzten Teile der beiden Regionen vordringen, wäre eine
militärische Eskalation wahrscheinlich.
- Welche Sanktionen werden die USA und Europa verhängen? Derzeit sind
Sanktionen gegen einzelne Mitglieder der russischen Führung sowie Wirtschafts-
und Finanzsanktionen im Gespräch - darunter ein Verbot russischer
Hightech-Importe und der Ausschluss Russlands aus dem internationalen
Finanzsystem Swift. Im Falle längerer militärischer Auseinandersetzungen
zwischen russischen und ukrainischen Truppen außerhalb des von Separatisten
gehaltenen Teils der Donbass-Region sind weitere Sanktionen wahrscheinlich.
Angesichts der Dynamik der Situation gehen wir von drei Szenarien für die
Entwicklung in den kommenden vier Wochen aus. Der wahrscheinlichste Fall ist
ein relativ moderates Szenario, bei dem die russischen Truppen in den
Separatistengebieten bleiben. In diesem Basisszenario würden die USA und
Europa begrenzte Sanktionen verhängen, wie z. B. Beschränkungen für russische
Staatsbürger. Ein anderes realistisches Szenario ist das der Eskalation.
Sollten die russischen Truppen weiter in die nicht von den Separatisten
gehaltenen Teile der Donbass-Region vordringen, würde die ukrainische Armee
entschlossen antworten. Die USA würden mit weitreichenden Sanktionen reagieren,
zum Beispiel mit Wirtschaftssanktionen und möglicherweise dem Ausschluss aus
dem Swift-System. Im "Tail-Risk"-Szenario würde Russland in weitere Gebiete
eindringen, sogar in die Hauptstadt Kiew. In diesem Extremfall würden die
Sanktionen auch den Energiesektor betreffen.
Bislang waren die Marktreaktionen auf den Konflikt moderat und rational.
Russische Aktien, bei denen das Sanktionsrisiko eingepreist ist, waren am
stärksten betroffen. Russische Credit Default Swaps und der Rubel waren bisher
weniger betroffen. Die Marktreaktionen außerhalb der betroffenen Region fielen
moderat aus. Die europäischen Aktien tendierten in diesem Jahr aus verschiedenen
Gründen schwach (-7,7 %), jedoch geringer im Vergleich zu US-Aktien (-8,7 %).
Gleichzeitig ist der Ölpreis aufgrund der starken Nachfrage und der niedrigen
Lagerbestände in diesem Jahr stark angestiegen (+26 %). Es ist schwer zu sagen,
wie groß die Auswirkungen der Ukraine-Krise sind. Insgesamt haben die Märkte
bisher verhalten auf die Krise reagiert.
Solange die russischen Truppen in den Separatistengebieten bleiben, dürften die
Marktreaktionen auch weiterhin moderat ausfallen. Sollte sich ein Risikoszenario
verwirklichen, würde die erste Reaktion höchstwahrscheinlich in erheblichen
Korrekturen bei risikoreichen Anlagen und einer Flucht in sogenannte sichere
Häfen bestehen. Die Sektoren Energie und Rohstoffe wären in diesen Szenarien
am stärksten betroffen. Eine vorübergehende Eskalation könnte zu einem späteren
Zeitpunkt attraktive Einstiegsmöglichkeiten schaffen. Auf der makroökonomischen
Seite würde die Eskalation wahrscheinlich zu einem weiteren Inflationsschub und
möglicherweise zu einem schwächeren Wachstum in Europa in den kommenden
Quartalen führen. Die Zentralbanken stünden dann vor einem noch schwierigeren
Spagat zwischen Inflationsbekämpfung und Wirtschaftsförderung.
Dies ist weder der richtige Zeitpunkt für Investoren, weitere Risiken einzugehen,
noch in Panik zu verfallen. Der weitere Verlauf dieses Konflikts ist höchst
ungewiss und bedarf einer genauen Beobachtung.
Schwellenländeranleihen: größtes Risiko sind russische Angriffe auf das von
der Ukraine kontrollierte Donbass-Gebiet
Unserer Meinung nach wäre in diesem Stadium das harmloseste Szenario, wenn die
russische Armee nicht über die bereits besetzten Gebiete hinausginge. Die Ukraine
könnte beschließen, nicht zurückzuschlagen, und acht Jahre De-facto-Kontrolle
durch russische Bevollmächtigte über diese Region würden offiziell werden. Diese
Situation würde die Möglichkeit für eine Fortsetzung der Diplomatie schaffen und
eine Deeskalation ohne einen tatsächlichen militärischen Konflikt ermöglichen.
Die Ukraine könnte weiterhin als unabhängiges Land agieren und eng mit dem Westen
zusammenarbeiten. Wir gehen davon aus, dass die Sanktionen der USA und der EU in
diesem Szenario moderat ausfallen würden.
Ein pessimistischeres Szenario wäre, dass Russland die Gebietsansprüche der
Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Luhansk in vollem Umfang anerkennt und
die russische Armee in die jetzt von der Ukraine kontrollierten Donbass-Gebiete
einmarschiert, woraufhin die Ukraine wahrscheinlich zurückschlagen würde. Der
Konflikt könnte sich über den Donbass ausdehnen, und die russische Armee könnte
in andere ukrainische Städte einmarschieren. In diesem Szenario würden wir mit
schärferen Sanktionen gegen Russland rechnen, was den Druck auf russische
Anleihen und die Währung erhöhen würde. Dies könnte möglicherweise eine breitere
Risikoaversion auslösen, die sich direkt auf russische und ukrainische Anlagen
auswirken und ein Ansteckungsrisiko für andere EM-Assets mit sich bringen würde.
Fixed Income: Flucht in Bunds, Treasuries
Angenommen, der Konflikt beschränkt sich auf die östlichen Provinzen der Ukraine,
so ist die offensichtlichste Marktreaktion eine Flucht in sichere Häfen, die zu
niedrigeren Renditen für deutsche Bundesanleihen und vielleicht auch für
US-Treasuries führt. Dies deckt sich mit dem, was wir in den letzten Tagen
beobachtet haben.
Trotz der zusätzlichen Problematik des Inflationsdrucks infolge steigender
Energiepreise wird die EZB unserer Meinung nach weniger hawkish als bisher
vorgehen. Dies wird niedrigere Renditen begünstigen und zu steileren
Renditekurven führen. Bei den Renditeaufschlägen für die Länder der Eurozone
wird unserer Ansicht nach die risikoaverse Stimmung an den Märkten vorherrschen.
Sollten sich die Spreads jedoch zu schnell und zu stark ausweiten, würden wir
mit einem Eingreifen der EZB und einer Unterstützung der schwächeren Länder,
höchstwahrscheinlich mit QE-Instrumenten, rechnen.
Wir scheuen uns derzeit vor großen, exponierten Anlagepositionen, da die
Unsicherheit groß ist. Wahrscheinlich würden wir auf eine erste Reaktion nach
dem Angriff nicht mit einer Positionierung für niedrigere Renditen und breitere
Spreads reagieren. Wir würden eher die Chancen niedrigerer Zinsen und breiterer
Spreads nutzen, um uns für eine Kehrtwende zu positionieren, da wir nicht
glauben, dass dieser Konflikt die aktuelle Wirtschafts- und Marktentwicklung
nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen wird.
Europäische Aktien könnten Kursverluste erleiden, später aber wieder ansteigen,
sofern es nicht zu einer weiteren Eskalation kommt
Europäische Aktien reagieren in der Regel übermäßig auf geopolitische Spannungen
und dürften im Falle eines russischen Einmarsches in der Ukraine deutlich an Wert
verlieren. Ein solcher Ausverkauf würde sehr aggressiv und schnell erfolgen.
Wenn nichts weiter passiert, würden die Aktienmärkte in Europa und anderswo
steigen und die Banken würden aufgrund steigender Zinsen wieder eine
Outperformance erzielen.
Die derzeitige Dominanz an den Aktienmärkten wird von zyklischen Sektoren wie
Energieaktien, Erstausrüstern und Banken bestimmt. Ein stärkerer Konflikt würde
sich längerfristig so sehr auf die Rohstoffpreise auswirken, dass es zu einer
Konjunkturabschwächung käme, wodurch sich die Dominanz von "zyklischen Growth-"
auf "säkulare Growth"-Titel verlagern würde.
Die Spannungen werden hauptsächlich über die Rohstoffe ausgetragen, da auf
Russland etwa 10 % der weltweiten Ölproduktion und 40 % des europäischen Gases
entfallen. Russland ist auch ein wichtiger Akteur bei Stickstoff, Palladium,
Nickel und Kali. Rohstoff- und Energieunternehmen werden als sicherer Hafen
angesehen und würden von Preissteigerungen profitieren. In unseren wichtigsten
europäischen Aktienstrategien haben wir Energie- und in geringerem Maße auch
Rohstoffwerte übergewichtet, sodass wir keine größeren Auswirkungen sehen
dürften.
Obwohl Russland nur einen sehr begrenzten Anteil an den Assets des europäischen
Bankensektors hat, könnte jede Eskalation eine Flucht in deutsche Bundesanleihen
und US-Treasuries auslösen. Insgesamt schwächere Märkte würden zu einer
deutlichen Underperformance des Bankensektors führen; wir müssten unsere
derzeitige Gleich- oder Übergewichtungsposition in Banken überdenken.
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Quelle: Investmentfonds.de
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