Investmentfonds.de
14.04.2022:
ifo Gemeinschaftsdiagnose
Köln, den 14.04.2022 (Investmentfonds.de) -
Prof. Dr. Timo Wollmershäuser , ifo Institut -
Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.
Von der Pandemie zur Energiekrise - Wirtschaft und Politik im Dauerstress
Berlin - Die deutsche Wirtschaft steuert durch schwieriges Fahrwasser und
durchläuft die höchsten Inflationsraten seit Jahrzehnten. In ihrem
Frühjahrsgutachten revidieren die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute
ihren Ausblick für dieses Jahr deutlich nach unten. Die Erholung von der
Corona-Krise wird infolge des Kriegs in der Ukraine gedämpft, behält aber
die Oberhand. Die Institute erwarten für 2022 und 2023 eine Zunahme des
Bruttoinlandsprodukts um 2,7 bzw. 3,1 Prozent. Bei einer sofortigen
Unterbrechung der russischen Gaslieferungen stünden hierzulande in beiden
Jahren insgesamt 220 Mrd. Euro an Wirtschaftsleistung im Feuer.
"Der Erholungsprozess der deutschen Wirtschaft verzögert sich abermals.
Das Konjunkturbild ist geprägt durch gegenläufige konjunkturelle Strömungen,
die allesamt preistreibend wirken", sagt Stefan Kooths, Vizepräsident und
Konjunkturchef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel).
"Der Wegfall der Pandemiebeschränkungen sorgt für konjunkturellen Auftrieb.
Dämpfend wirken die Nachwehen der Corona-Krise, weil Lieferketten immer noch
unter Stress stehen. Die Schockwellen durch den Krieg in der Ukraine
belasten die Konjunktur sowohl angebots- wie nachfrageseitig. Schon die
staatlichen Hilfspakete während der Pandemie haben preistreibend gewirkt.
Die Verteuerung wichtiger Energierohstoffe nach dem russischen Überfall
fachen den Preisauftrieb weiter an."
Aufgrund der hohen Unsicherheit über die für die deutsche Wirtschaft
wichtigen Gaslieferungen aus Russland haben die Institute in ihrem Frühjahrs-
gutachten zwei Szenarien für die konjunkturelle Entwicklung berechnet.
Das eine geht von fortgesetzten Gaslieferungen und keinen weiteren
ökonomischen Eskalationen aus (Basisszenario), das andere von einem
sofortigen Stopp russischer Gaslieferungen (Alternativszenario).
Im Basisszenario legt das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2022
um 2,7 Prozent zu, im Falle eines Lieferstopps nur um 1,9 Prozent. In ihrem
Herbstgutachten waren die Institute noch von einem Zuwachs um 4,8 Prozent
ausgegangen. Maßgeblich für die Revision sind neben dem Ukrainekrieg der
ungünstige Pandemieverlauf im zurückliegenden Winterhalbjahr. 2023 dürfte
das BIP um 3,1 Prozent steigen, im Falle eines Lieferstopps um 2,2 Prozent
sinken (Herbstgutachten: plus 1,9 Prozent). Der kumulierte BIP-Verlust
beläuft sich im Falle eines Lieferstopps allein in den beiden Jahren 2022
und 2023 auf rund 220 Mrd. Euro, was mehr als 6,5 Prozent der jährlichen
Wirtschaftsleistung entspricht.
Für das laufende Jahr rechnen die Institute mit einer Inflationsrate von
6,1 Prozent, dem höchsten Wert seit 40 Jahren. Im Falle eines Lieferstopps
für russische Energie würden sogar 7,3 Prozent erreicht, der höchste Wert
seit Bestehen der Bundesrepublik. Auch im kommenden Jahr dürfte die Rate
mit 2,8 Prozent (Lieferstopp: 5,0 Prozent) deutlich über dem Durchschnitt
seit der Wiedervereinigung liegen.
Die Arbeitslosenquote liegt im Basisszenario in beiden Prognosejahren bei
5,0 Prozent (nach 5,7 Prozent im Vorjahr). Im Fall eines Lieferstopps dürften
die Raten 5,2 Prozent (2022) und 6,0 Prozent (2023) betragen. Belastungen für
die Konjunktur würden in diesem Fall im Wesentlichen über eine reduzierte
Arbeitszeit aufgefangen werden.
Das Defizit der öffentlichen Haushalte verringert sich, weil Pandemiehilfen
auslaufen, die Staatseinnahmen im Zuge des Aufschwungs steigen und die
Sondervermögen für Klimaschutz und Verteidigung wohl nur in geringem Umfang
abfließen. Das Defizit sinkt laut Prognose auf 52,2 Mrd. Euro im laufenden
Jahr und auf 27,9 Mrd. Euro im kommenden Jahr. Bei einem Lieferstopp wird
2022 ein Defizit von gut 76 Mrd. Euro (2,0 Prozent in Relation zum BIP)
erwartet und für 2023 von etwa 160 Mrd. Euro (4,1 Prozent in Relation zum BIP).
"Bei einem Stopp der Gaslieferungen droht der deutschen Wirtschaft eine
scharfe Rezession. Wirtschaftspolitisch käme es dann darauf an, marktfähige
Produktionsstrukturen zu stützen, ohne den Strukturwandel aufzuhalten. Dieser
wird sich für die gasintensiven Industrien auch ohne Boykott beschleunigen,
da die Abhängigkeit von den bislang günstig zu beziehenden russischen
Lieferungen so oder so rasch überwunden werden soll“, so Kooths. "Auch die
Hilfen für private Haushalte zum Abfedern hoher Energiepreise sollte die
Politik nur sehr zielgerichtet dosieren. Werden solche Hilfen auf breiter
Front ausgereicht, treibt das zusätzlich die Inflation und torpediert den
wichtigen Lenkungseffekt höherer Energiepreise. Das verschärft wiederum die
Probleme einkommensschwacher Haushalte und erhöht die gesamtwirtschaftlichen
Kosten."
Die Gemeinschaftsdiagnose wird erarbeitet vom DIW in Berlin, vom ifo Institut
in München, vom IfW in Kiel, vom IWH in Halle und vom RWI in Essen.
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Quelle: Investmentfonds.de
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