04.07.2011
Credit Suisse: Griechenland hält die Märkte in Atem
Köln, den 04.07.2011 (Investmentfonds.de) - Ein weiterer Akt des griechischen
Dramas steht an. Die europäischen Politiker und die Europäische Zentralbank
versuchen fieberhaft, den Staatsbankrott zu verhindern, und die Märkte warten
nervös darauf, dass eine der vielen Initiativen Erfolg hat. Wir haben Giles
Keating, Leiter Global Research, gebeten, Licht in die aktuelle Diskussion zu
bringen.
Andreas Thomann: Herr Keating, Sie kommen gerade aus der Besprechung der Global
Economic and Strategy Group (GESG). Wie schätzt die Credit Suisse die Griechen-
landkrise ein?
Giles Keating: Wir sind verhalten optimistisch. In den kommenden Monaten rechnen
wir nicht mit einem ungeordneten Zahlungsausfall. Natürlich sind uns die länger-
fristigen Probleme bewusst, doch die politische Dynamik für die Suche nach einer
Lösung ist sehr stark. Allerdings verändert sich die Lage täglich, wenn nicht
stündlich, von absoluter Sicherheit kann somit keine Rede sein. Im Moment geht
es anscheinend in die richtige Richtung.
Die massgeblichen europäischen Regierungschefs sind sich teilweise uneinig
über die Finanzierung dieser immensen Schulden. Woher rührt dieses Dilemma?
Deutschland wollte natürlich zunächst den Privatsektor sehr stark beteiligen,
d. h. die Anleihen prolongieren, die einige Banken mehr oder weniger obliga-
torisch halten. Doch bei einem Treffen zwischen Bundeskanzlerin Merkel und
Präsident Sarkozy wurde dieser Punkt beigelegt. Frankreich und Deutschland
scheinen sich nun einig zu sein, dass eine Beteiligung des Privatsektors
keinesfalls verbindlich vorgeschrieben werden darf, da sonst ein Zahlungsausfall
ausgelöst würde.
Eine kurzfristige Entlastung der europäischen Finanzen erfordert die Zahlung
der vierteljährlichen Tranche von EUR 12 Milliarden. Wie wahrscheinlich ist
hier ein Kompromiss?
Es gibt zurzeit viele Schritte in diese Richtung. Die Einigung zwischen Frankreich
und Deutschland habe ich schon erwähnt. Ausserdem gab es in Griechenland eine
Kabinettsumbildung, bei der mehr wichtige Abgeordnete der Regierungspartei ein
Ministeramt übernommen haben. Dies hat die Position der Regierung offenbar
gestärkt. Sicher können wir allerdings erst sein, wenn wir weitere Abstimmungs-
ergebnisse kennen. Obwohl der Zeitrahmen knapp ist, kann also das Geld anscheinend
rechtzeitig zugewiesen werden.
Griechenland selbst stellt eine weitere Gefahr dar, da die Proteste gegen die
Sparmassnahmen zunehmen. Könnte Griechenland seinen eigenen Staatsbankrott
provozieren?
Ein Staatsbankrott läge überhaupt nicht im griechischen Interesse. Wenn Griechenland
seine Schulden nicht bedient, hätte es keinen Zugang mehr zu den einzelnen Geld-
quellen beim IWF und in Europa. Da das griechische Defizit nach wie vor hoch ist,
würde dies bedeuten, dass die Regierung plötzlich keine ausreichenden Mittel mehr
hätte, um ihre Beamten zu entlöhnen und sämtliche anderen laufenden Ausgaben zu
bestreiten. Dann müsste die Regierung über Nacht drastische Massnahmen ergreifen.
So ist es ja bei jedem Schuldner, der zusätzliches Geld von seinen Gläubigern
bekommt. Daher ist es unwahrscheinlich, dass Griechenland einseitig in diese
Richtung steuert. In jedem Land kann die Politik aber unerwartete Richtungen
einschlagen, und es ist natürlich verständlich, dass die Menschen in Griechenland
leiden.
Welche Auswirkungen hätte ein Staatsbankrott auf den Euro?
Auch das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, aber gut wäre es nicht. Das Problem
liegt darin, dass jeder Zahlungsausfall einen Ansteckungseffekt nach sich zieht,
d. h. Verluste nicht nur für die griechischen Banken, sondern auch für französische
und deutsche Banken, für die EZB selbst, den IWF und in geringerem Umfang auch
für Banken in anderen Ländern Europas und in den USA. Diese Auswirkungen könnten
die Eigenkapitaldecke dieser Banken beschädigen, und dies wiederum könnte eine
sehr negative Marktreaktion auslösen. Eine Rekapitalisierung der Banken könnte
Abhilfe schaffen, doch dies müsste dann schnell geschehen. Ausserdem wissen wir
nicht, ob der Markt für Credit Default Swaps der Belastung standhalten würde.
Es gibt hier viele Unbekannte, das ist das Problem.
Ging es bei dem Treffen der GESG nur um die griechische Tragödie, oder hatten
Sie auch Zeit, um über andere Themen zu sprechen?
Wir haben uns auch mit dem aktuellen Stand der Weltkonjunktur beschäftigt. Besonders
aus den USA kommen in letzter Zeit schwache Daten. Sorgen bereiten auch die Wachs-
tumsschwäche in China und anderen Ländern. Die Einschätzung der GESG war, dass es
sich hier um vorübergehende Abkühlungseffekte handelt. Wir rechnen damit, dass
sich das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte wieder signifikant, vielleicht
sogar recht substanziell, beschleunigt. Wir wissen z. B., dass die Liquidität der
US-Unternehmen, gemessen an der Bilanzsumme, auf dem höchsten Stand seit 55 Jahren
steht. Auch stellen wir fest, dass es bei der Wachstumsschwäche in China nur um
die letzten sechs Monate geht. Einige Indikatoren flachen sich dort jetzt ab und
sind daher bereit für einen Anstieg. Ausserdem sehen wir eine gewisse Preisstabili-
sierung bei Basismetallen und Industriemetallen, die in dieselbe Richtung deutet.
Insgesamt waren wir recht zuversichtlich, dass sich die Wirtschaftsdaten verbessern
werden – wenn nicht in einem Monat, dann doch gewiss in zwei oder drei Monaten.
Das sind sehr gute Nachrichten für den weiteren Aufschwung, die auch den Aktien-
märkten Auftrieb geben dürften.
Was müssen Anleger im aktuellen Wirtschaftsklima bedenken?
Das Investment Committee der Credit Suisse, das die Einschätzung der GESG nutzt,
hat bereits angedeutet, dass es einen Punkt sucht, an dem es die Aktienquote wieder
anheben kann. Dieser Vorgabe sollten Anleger folgen. Dann werden besonders die
Schwellenländer im Mittelpunkt stehen, allen voran China, und unter den Industrie-
ländern verstärkt die USA mit ihrer sehr starken Gewinndynamik an den Aktienmärkten.
An den Obligationenmärkten sollten die Anleger Anleihen mit langer Duration meiden:
Die Renditen sind gefallen, und sie können auch wieder steigen, wenn sich die
Wirtschaftsdaten tatsächlich verbessern und zumindest eine Teillösung der Griechen-
landkrise erkennbar wird. Dies sind einige wichtige Empfehlungen, die wir aus-
sprechen können.
Quelle: Investmentfonds.de