Investmentfonds.de
14.06.2019:
LFDE Macroscope: Die Tauben sind los
Köln, den 14.06.2019 (Investmentfonds.de) -
Olivier de Berranger, Chief Investment Officer bei LFDE
La Financière de l'Echiquier
Risikoanlagen sind nach einer äußerst holprigen Entwicklung im Mai deutlich
positiver in den Juni gestartet. Liegt dies an einer Beruhigung des Handelsstreits
oder an der Verbesserung der makroökonomischen Daten? Im Grunde trifft beides
nicht zu. Vielmehr sind unserer Meinung nach die Interventionen der Zentralbanken,
wie schon seit Jahresbeginn, Haupttreiber der Erholung. In den vergangenen Tagen
haben sie sich besonders aktiv oder zumindest wortreich gezeigt.
In den USA vertrat James Bullard die Auffassung, dass eine Zinssenkung
"bald gerechtfertigt sein könnte". Der Präsident der Federal Reserve Bank of
St. Louis ist jedoch als besonders "taubenhaftes", also moderates, Mitglied der
US-Notenbank bekannt und als solches im Offenmarktausschuss FOMC in der Minderheit.
Die Anleger achteten vor allem auf die Worte von Fed-Chef Jerome Powell. Bei einer
Rede, deren Hauptthema nicht die Geldpolitik war, war ein kurzer Satz zu vernehmen,
der ausreichte, die Hoffnungen auf eine Zinssenkung wieder aufleben zu lassen.
Er begnügte sich zwar mit dem Hinweis, dass die Zentralbank "zur Unterstützung des
Wachstums angemessen handeln werde", und verwies darauf, dass die Ziele am
Arbeitsmarkt und bei der Inflation vorerst erreicht seien. Aber die immer
wahrscheinlichere Aussicht auf zumindest eine Zinssenkung bis zum Jahresende im
Falle einer ausbleibenden Konjunkturverbesserung wurde von den Märkten "gekauft".
Zumal Powells Äußerungen vom Fed-Vizepräsidenten Richard Clarida und der
Fed-Gouverneurin Lael Brainard unterstützt und aufgegriffen wurden.
Auf der monatlichen Sitzung der Europäischen Zentralbank klangen die Aussagen
ebenfalls moderater. Die Bedingungen für die dritte Tranche der sogenannten
gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (Targeted Longer-Term Refinancing
Operations; TLTROs) enttäuschen. Der Zinssatz wird zwischen dem Einlagesatz
(-0,4 Prozent) zuzüglich 0,1 Prozent und dem Refinanzierungssatz (0,0 Prozent)
zuzüglich 0,1 Prozent liegen, während die Anleger erwartet hatten, dass er unter dem
Einlagesatz liegen könnte. Doch Mario Draghi schlug in seinen Äußerungen einen
eindeutig moderaten Ton an. Ähnlich wie sein US-Amtskollege bekräftigte er, dass die
EZB bereit sei, im Falle einer Konjunkturverschlechterung zu handeln und hierbei alle
Instrumente ihres "Werkzeugkastens" zu nutzen und insbesondere eine zusätzliche
Senkung des Einlagesatzes vorzunehmen. Er wies auch darauf hin, dass die Leitzinsen
"mindestens bis zur ersten Jahreshälfte 2020" unverändert bleiben würden - zuvor
hatte es "mindestens bis Ende 2019" geheißen. Der EZBRat zeigte sich bei den
Wachstumsaussichten neutraler und senkte seine Erwartungen für 2020, hob sie für 2019
jedoch an.
Auf kurze Sicht ist diese Haltung für Risikoanlagen sehr vorteilhaft, aber man sollte
sich vor überzogenen Erwartungen hüten. Der leichte Rückgang der europäischen Märkte
nach der Bekanntgabe des TLTRO-Zinssatzes belegt dies. Vor allem bei der erwarteten
Zinssenkung der Fed versündigen sich die Anleger zweifelsohne mit übergroßer Zuversicht.
Denn sie sehen bis Jahresende mehr als zwei Zinssenkungen voraus, was außer im Falle
eines jähen Absturzes der US-Wirtschaft unwahrscheinlich erscheint. Das Risiko für
Enttäuschungen ist demnach hoch. Hinzu kommen die schwächelnden makroökonomischen
Indikatoren mit einem globalen Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe,
der erstmals seit mehr als drei Jahren unter 50 liegt. Auch der globale
Composite-Einkaufsmanagerindex hat einen Tiefstand erreicht. Hinzu kommt eine
US-Zinskurve mit nach wie vor deutlicher Inversion: Die Situation veranlasst dazu,
die Überschwänglichkeit der letzten Tage mit Vorsicht zu genießen.
Quelle: Investmentfonds.de
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