Investmentfonds.de
22.11.2021:
NN IP: Die Fed hat mehr Kontrolle als die Bank of England
Köln, den 22.11.2021 (Investmentfonds.de) -
Willem Verhagen, Senior Economist, Multi-Asset,
bei NN Investment Partners
Die Fed hat mehr Kontrolle als die Bank of England
- Eine der wichtigsten Aufgaben der Zentralbanken ist es,
die Zinserwartungen zu steuern
- Die Fed hat diese Aufgabe jüngst gut erfüllt, indem sie
ihre Absichten sehr klar formulierte
- Die verworrenen Aussagen der Bank of England haben zu
erheblichen Marktschwankungen geführt
Nachdem die Bank of England (BoE) klar signalisiert hatte,
dass sie die Zinssätze zur Inflationsbekämpfung anheben wolle,
befindet sie sich zur Überraschung aller noch immer in der
Warteschleife. Eine solche Kehrtwende führt zu erheblichen
Marktschwankungen und birgt die Gefahr, dass das Vertrauen
der Märkte in die künftigen Aussagen der Zentralbank schwindet.
Die BoE kann viel von der US-Notenbank Federal Reserve (Fed)
lernen, die ihre Zinspläne viel klarer kommuniziert hat.
Inflationsunsicherheit
In den letzten Wochen kam es am vorderen Ende der Renditekurven
der Industrieländer zu erheblicher Volatilität. Die Hauptursache
war die große Verunsicherung über die Prognosen im Allgemeinen
und die Inflation im Besonderen. Die entscheidende Frage für
die politischen Entscheidungsträger und die Märkte ist, ob der
derzeitige Inflationsschub nur vorübergehend ist oder dauerhaft
bleibt. Vorübergehend bedeutet nicht unbedingt kurzlebig,
sondern vielmehr, dass der Inflationsschub von selbst wieder
abklingt. Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage
in verschiedenen Segmenten der Produktions- und Arbeitsmärkte
könnte noch einige Zeit bestehen bleiben. Die Veränderungen
bei den relativen Preisen und Löhnen trüben den Blick auf die
Entwicklung der zugrundeliegenden Inflation erheblich. Es
spricht vieles dafür, dass die Unabhängigkeit der Zentralbanken
und der strukturelle Rückgang der Verhandlungsmacht der
Arbeitnehmer in den letzten Jahrzehnten die Inflation im Zaum
halten dürften. Allerdings kann man dies nicht mit absoluter
Sicherheit sagen. Insbesondere könnte eine unerwartete längere
Verknappung des Arbeitskräfteangebots eine größere und
dauerhaftere Zunahme der Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer
auslösen. Dies könnte wiederum eine Lohn-Preis-Spirale auslösen.
So gesehen ist es nicht überraschend, dass der Markt begonnen
hat, einen hawkischeren geldpolitischen Kurs für mehrere
Zentralbanken einzupreisen.
Zentralbanken sollten Zinserwartungen steuern
Natürlich stehen die Zentralbanken den gleichen unsicheren
Aussichten gegenüber. Wie dem auch sei, sie können dennoch
einen Fixpunkt für die Zinserwartungen des Marktes bieten,
indem sie ihre Absichten offen und klar kommunizieren.
Außerdem können sie generell ihre geldpolitischen Instrumente
einsetzen, um die Glaubwürdigkeit ihrer Botschaften zu erhöhen.
In dieser Hinsicht kann die Interaktion zwischen Zentralbank
und Markt als ein Spiel verstanden werden, bei dem die
Handlungen jedes Teilnehmers die Handlungen des anderen
beeinflussen. Der Markt wird seine Zinserwartungen auf seine
Einschätzung stützen, wie die Zentralbank auf Veränderungen
der Marktaussichten reagieren wird. Gleichzeitig sind die
Zinserwartungen des Marktes eine entscheidende Triebkraft für
die Zinsstrukturkurve und damit für die allgemeinen
finanziellen Bedingungen. Die Zentralbank wird beurteilen, ob
diese mit dem Erreichen ihrer Inflations- und Beschäftigungsziele
vereinbar sind. Wenn dies nicht der Fall ist, wird die Zentralbank
ihren geldpolitischen Kurs ändern.
In diesem Spiel ist es von größter Bedeutung, dass sich die
Zentralbank als dominierender Akteur etabliert. Dies ist möglich,
weil der Zentralbank ein Instrument mit unbegrenzter Schlagkraft
zur Verfügung steht – Quantative Easing (QE). QE funktioniert auf
mindestens zwei Arten. Erstens kann es die Laufzeitprämie senken
und so die Kurve abflachen. Zweitens kann es die Glaubwürdigkeit
der Zinsvorgaben der Zentralbanken durch die Zusage steigern,
diese bis einige Zeit vor der ersten Zinserhöhung beizubehalten.
Dies gibt den Zentralbanken die Möglichkeit, den erwarteten Kurs
der Leitzinsen angesichts eines sich verbessernden Nominalwachstums
festzulegen.
Bis vor kurzem waren die meisten Zentralbanken der Industrieländer
recht erfolgreich darin, den Aufwärtsdruck auf die Entwicklung der
erwarteten künftigen Leitzinsen vor dem Hintergrund eines rasanten
Wachstums und einer höheren Inflation zu verringern. In den letzten
Monaten scheinen einige jedoch die Kontrolle über die Zinserwartungen
verloren zu haben. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die meisten
Zentralbanken in der angelsächsischen Welt dabei sind, sich aus QE
zurückzuziehen, wodurch ihnen ein wirksames Instrument zur Eindämmung
der Zinserwartungen entzogen wird. Das bedeutet, dass eine klare und
transparente Kommunikation immer wichtiger wird. In dieser Hinsicht
war die Fed in den letzten Wochen eindeutig besser als die
Bank of England.
Kurswechsel konnte dank klarer Kommunikation der Fed gut
vorbereitet werden
Die Absicht der Fed bestand immer darin, einen "guten" hawkischen
Pivot herbeizuführen - ein Umschwung, bei dem der Markt davon
ausgeht, dass die gemäßigte Reaktionsfunktion der Fed noch vorhanden
ist und die Politik weniger akkommodierend wird, weil Fortschritte
beim Erreichen der Inflations- und Beschäftigungsziele gemacht
werden. Deshalb hat die Fed den Beginn des Tapering vorgezogen und
den Prozess zeitlich etwas beschleunigt.
Auf ihrer Novembersitzung, auf der das Tapering schließlich
angekündigt wurde, gelang es der Fed, diesen "guten" hawkischen
Kurs zu halten. Die wichtigste Botschaft der Fed besteht darin,
dass sie die bis Mitte 2022 andauernde Phase des Tapering nutzen
wird, um zu beurteilen, wohin sich die Wirtschaft entwickelt.
Dabei wird sie der Inflation und den Inflationserwartungen, dem
Lohnwachstum und dem Arbeitskräfteangebot besondere Aufmerksamkeit
widmen.
Bank of England: Unsicherheit über den Einsatz von Instrumenten
führt zum Kontrollverlust über die Zinserwartungen
Im Gegensatz zur Fed hat die Bank of England für erhebliche
Marktschwankungen gesorgt, vor allem weil ihre Kommunikation viel
zu wünschen übrigließ. Im Oktober gab Andrew Bailey, der Gouverneur
der BoE, ein klares Signal: Die Bank sei besorgt, dass die
Inflationserwartungen nach oben ausschlagen könnten und erklärte,
dass sie „handeln müsse“, um den Inflationsdruck zu dämpfen. Damit
schien die Bank den Markt auf einen „schlechten“ Kurswechsel der
Falken vorzubereiten, d. h. auf eine Straffung der Geldpolitik,
um den Inflationsgeist wieder in die Flasche zu bekommen.
Zur großen Überraschung blieb die BoE im November abwartend.
Sie begründete es damit, dass die Inflation ihrer Ansicht nach
auf vorübergehende Angebotsschocks zurückzuführen sei, dass die
Inflationserwartungen vorerst gut verankert blieben und dass der
geldpolitische Ausschuss weitere Informationen über die Entwicklung
des Arbeitsmarktes einholen wolle. Die Bank ist nach wie vor der
Ansicht, dass Zinserhöhungen in der Zukunft angemessen sind. Das
klingt so, als könnte die BoE einen unschönen hawkischen Kurswechsel
vollziehen - ähnlich den geldpolitischen Fehlern der EZB in den Jahren
2008 und 2011, als sie die Geldpolitik als Reaktion auf eine
vorübergehende Inflation verschärfte, was zu einem geringeren Wachstum
und niedrigeren Inflationserwartungen führte.
Der wahre Grund für den Verzicht auf eine Zinserhöhung im November
war wahrscheinlich, dass die BoE der Meinung war, die Markterwartungen
für eine Zinserhöhung wären überzogen. Die Bank selbst hatte das Feuer
dieser hawkischen Preisanpassung geschürt und anschließend die Kontrolle
verloren. Ein Hauptgrund für die verlorene Fähigkeit die
Markterwartungen zu steuern, liegt darin, dass die Bank of England
große Unsicherheit darüber geschaffen hat, wie sie ihre politischen
Instrumente einsetzen wird. Die Fed hat sich in dieser Hinsicht immer
sehr klar geäußert: Zuerst wird sie das QE beenden, und erst dann
werden Zinserhöhungen ins Spiel kommen. Die BoE hat angedeutet, dass
sie die Zinssätze anheben könnte, während sie weiterhin QE einsetzt.
Das ist ein wenig so, als würde man gleichzeitig auf Gaspedal und
Bremse treten. Damit hat sie möglicherweise auch die Wirksamkeit künftiger
QEs reduziert, denn im Wesentlichen beruht deren Wirksamkeit auf der
Annahme, dass es keine Zinserhöhungen geben wird, solange das QE läuft.
Die Lektion für die Bank of England ist einfach: Wenn man Unsicherheit
darüber schafft, wie man seine monetären Instrumente einzusetzen gedenkt,
darf man sich nicht wundern, wenn der Markt Schwierigkeiten hat, die
künftigen Maßnahmen zu bewerten.
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Quelle: Investmentfonds.de
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