Mario Draghi hat heute bei seinem letzten Auftritt als Notenbankchef die Mindesterwartungen der Marktteilnehmer erfüllt - eine Zinssenkung auf -0,5% bei Einführung einer Mengenstaffel sowie die zeitlich unbegrenzte Wiederaufnahme des Staatsanleihekaufprogrammes.">
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13.09.2019:
Euroswitch Kommentar zum heutigen EZB-Entscheid: "Das große Missverständnis Geldpolitik"
Köln, den 13.09.2019 (Investmentfonds.de) -
Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager der Vermögensmanagement Euroswitch
Einführung einer Mengenstaffel sowie die zeitlich unbegrenzte Wiederaufnahme des
Staatsanleihekaufprogrammes. Aber was bedeuten all diese heute veröffentlichten
Nachkommastellen und Marktreaktionen für die reale Wirtschaft? Wenig bis nichts.
Den Marktteilnehmern geht es bei geldpolitischen Maßnahmen in erster Linie um die
Flutung mit Liquidität, die sich ihren Weg in Form steigender Kurse in die meisten
Anlageklassen bahnt. Die Wertanstiege von Aktien, Anleihen und Immobilien in den
letzten Jahren sind zu einem nicht geringen Anteil auch Folge der Geldpolitik
internationaler Notenbanken. Daneben wird den Notenbanken neben Rezessionsschutz
auch eine Funktion als Krisenversicherung zugeschrieben, die es im Zweifel schon
richten wird. Diese Eindrücke verfestigen sich in dem Maße, wie die eigentlich
politisch Verantwortlichen versagen. Man darf wohl ohne Zweifel behaupten, dass
Mario Draghi mit seinem beherzten Eingreifen "whatever it takes" die Eurozone
gerettet hat. Auch zuvor hat die US-Notenbank während der ersten Monate der
Finanzkrise durch gezielte Maßnahmen gezeigt, wie wertvoll die Notenbanken als
eine Art Absicherung oder "Put-Option" in einer immer komplexer werdenden Welt
für die Kapitalmärkte sind.
Allerdings haben die Aktionen den Handlungsdruck von der Politik genommen, notwendige
Reformen endlich anzugehen. Insofern hoffen auch Politiker auf ein "weiter so" und
beschäftigen sich lieber mit sich selbst. Dabei droht angesichts globaler
Handelsstreitigkeiten, unterfinanzierter Rentensysteme oder modernen Tragödien wie
dem Brexit eine unmittelbare Überforderung der Geldpolitik. Zumindest bei den nahezu
durchgängig negativen Zinsen in der Eurozone stellt sich die berechtigte Frage nach
deren Wirksamkeit, Kritik an den zu befürchtenden Nebenwirkungen wird immer lauter.
Die reale Wirtschaft scheint kaum mehr auf Impulse der Notenbanken zu reagieren,
vielmehr sind die Geschäftsmodelle der Banken als verlängerter Arm der Geldpolitik
immer mehr in Bedrängnis. Negative Zinsen führen faktisch zu Fehlallokationen, da
der Zins keine Lenkungsfunktion beim Investieren erfüllt und als Risikomesser
Fehlsignale gibt.
Aber warum dann das Ganze? Zumal die Weltwirtschaft, auch die europäische, wächst.
Zwar nur moderat und in vereinzelten Branchen zeichnet sich eine Rezession ab, aber
diese sind ohnehin oft von langfristig wirksamen Disruptionen wie der Digitalisierung
betroffen. Alles andere wie Handelsstreitigkeiten oder der Brexit, die das Vertrauen
der Wirtschaft nachhaltig belasten, sind politisch gemacht und können auch nur
politisch gelöst werden.
Die Notenbanken verweisen gerne als Begründung für ihr aktuelles Handeln auf die
hartnäckig niedrige Inflation. Um die 2% sollten es schon sein - so das vorherrschende
Meinungsbild. Dabei werden zwei Dinge ignoriert. Zum einen wirken Globalisierung
und Demographie strukturell deflationär auf die bestehenden Warenkörbe zur Berechnung
der Inflation. Zum anderen sind die Warenkörbe nur bedingt geeignet, ein reales Bild
der Inflation zu zeigen - so sind z.B. die mit steigenden Mieten verbundenen deutlich
gestiegenen Kosten extrem unterrepräsentiert. Auch die durch die Geldpolitik
mitverursachten Vermögenspreisanstiege wie bei verteuerten Immobilien werden faktisch
nicht erfasst. Diese Tatsache nährt den Verdacht, dass der Kampf gegen die "niedrige"
Inflation vordergründig ist und ganz andere Aspekte das Leitmotiv prägen.
Donald Trump - über den man denken mag, was man will - hat die Zusammenhänge erkannt.
So forderte er diese Woche von den "Boneheads" (Dummköpfen) seiner Notenbank FED auch
einen Zinssatz von 0% oder niedriger wie bei den Europäern. Richtig, es geht um die
maximal günstige Staatsfinanzierung und die Beeinflussung der Wechselkurse, um die
eigene Wirtschaft zu begünstigen. Trump spricht nur aus, was viele hinter den Kulissen
denken. Auch in der zunehmenden Politisierung der Notenbanken durch die Entsendung
ehemaliger Politiker an deren Schaltstellen mag man eine Bestätigung sehen. Ökonomisch
gut begründete Kritik gegen oder Zweifel am Ankauf von Staatsanleihen wie jüngst durch
Vertreter Deutschlands, Frankreichs und den Niederlanden (immerhin zusammen mehr als 50%
der Wirtschaftskraft der Eurozone) gehen unter angesichts einer politisch motivierten
Mehrheit in der Zentralbank, die Staatsfinanzierungskosten weiter zu senken. Ohne eine
tiefgreifende Änderung der bestehenden Geldpolitik dürfte sich daran auch nichts ändern,
zumal bei restriktiverer Haltung über die Wechselwirkung von Finanzmärkten und realer
Wirtschaft eine Rezession immer wahrscheinlicher würde.
Auch wenn es widersprüchlich anmutet, so ist es doch mehr als opportun, diese historisch
einmaligen Geldgeschenke anzunehmen. Wer sich wie die deutsche Regierung für eine
"schwarze Null" auf die Schulter klopft, hat das aktuelle Wesen der Geldpolitik nicht
verstanden. Die Notenbank handelt so, damit sich Staaten verschulden und fiskalpolitisch
die Herausforderungen der Zeit maximal günstig lösen können. Was Mario Draghi an
Überzeugungsarbeit in einem realitätsfernen Berlin nicht leisten konnte, wird
Christine Lagarde ins Aufgabenbuch geschrieben.
Danke Mario!
Viel Glück Christine
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