Carlson: Unsicherheit dominiert weiterhin
Trotzdem ist anzumerken, dass die Aktienpreise in Stockholm und den Schwellenländern im Verlauf des Monats, zumindest bis Ablauf des letzten Handelstages, flach verliefen. Die Bewegungen auf den Devisenmärkten waren gering. Der Yen hat an Wert gewonnen und der Euro hat sich gegenüber dem Dollar stabilisiert. Die Entscheidung Chinas, die Währungsbindung an den Dollar zugunsten eines flexibleren Wechselkurses aufzuheben, ist wichtig, doch die erwartete Aufwertung ist bisher enttäuschend gering ausgefallen. Die Prognosen spiegeln sich nicht auf den Finanzmärkten wider. Auf der einen Seite geht den optimistischen Konsensprognosen vom Juni zufolge, die sich zu den Vormonaten nur wenig veränderten, der globale Aufschwung weiter. Das US-Realwachstum wird nach Schätzungen einen Hauch größer als 3% in diesem und im kommenden Jahr ausfallen. Die Eurozone hinkt mit etwa 1% Realwachstum in diesem und einer etwas höheren Rate im nächsten Jahr der USA hinterher. Die Inflation wird Berechnungen zufolge nah an den Zielgrößen der Zentralbanken liegen. Andererseits haben die Entwicklungen auf den Finanzmärkten in den vergangenen beiden Monaten kaum den Prognosen entsprochen.Vor allem zwei Faktoren sind für diese Diskrepanz verantwortlich. Erstens deuten verschiedene Indikatoren darauf hin, dass es in fast allen Teilen der Weltwirtschaft in der zweiten Jahreshälfte zu einer leichten Verlangsamung kommen wird. Das ist gewissermaßen nach dem vorherig starken Comeback aus der tiefen Rezession von Anfang 2009 natürlich, vor allem was die Industrieaktivität angeht, welche teilweise durch Inventarkäufe angetrieben wurde. Zweitens wird die Steuerpolitik bald in vielen Ländern, vor allem in Europa, verschärft werden. Die Sorge ist, dass dieser Politikwechsel, obwohl er mittel- und langfristig absolut nötig ist, vielleicht zu früh vollzogen wird und man somit eine klare Schwächung des lauen Aufschwungs oder sogar kurzfristig eine erneute Rezession riskiert, die zu einer Deflation führen kann. Drei Faktoren weisen auf eine Verlangsamung des US-Wirtschaftswachstums während der zweiten Jahreshälfte hin. Erstens waren die Inventarkäufe in der frühen Phase des Aufschwungs von Bedeutung, da sie 2/3 im ersten und vierten Quartal und 1/3 im dritten Quartal zum gesamten Realwachstum beigetragen haben. Die Inventarkäufe werden nun höchstwahrscheinlich zurückgehen.
Zweitens werden die Steueranreize bald auslaufen und später wird die Steuerpolitik das Wachstum sogar bremsen. Drittens wird die Nachfrage aus dem Ausland, vor allem aus der Eurozone mit ihrem langsamen Wachstum und dem wettbewerbsfähigen Wechselkurs, vielleicht nicht solch einen großen Antrieb für das US-Wachstum bedeuten. Trotzdem sind die Prognosen für Amerika nicht nur negativ. So erwarten erstens, wenn überhaupt, nur wenige Konjunkturbeobachter, eine Rezession. Ein Beispiel dafür ist die Schlagzeile „Slowdown imminent, not recession“ (Verlangsamung, keine Rezession) einer der wichtigsten Herausgeber von führenden Konjunkturzyklusindikatoren (ECRI im Juni). Wir erinnern daran, dass die großen Anpassungen durch den vorherigen Kaufrausch bereits stattgefunden haben. Die Sparrate der Haushalte hat im Mai die 4%-Marke erreicht, während sie vor kurzem noch bei fast Null gelegen hatte. Ein weiteres Beispiel für den gesamten privaten Sektor – Haushalte und Unternehmen – ist, dass die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben um eine Rekordgröße von 11%- Punkten des BIP gestiegen ist und das ausgehend von einem Defizit von 4% am Höchstpunkt des Booms von 2006, zu einem Mehrbetrag von fast 7% in diesem Jahr. Das wurde vor allem durch die geringeren Investitionen in Immobilien bewirkt. Zweitens, obwohl die Verbesserung der Lage des Arbeitsmarktes bislang enttäuschend war, belegen verschiedene Umfragen die erhöhte Bereitschaft des privaten Sektors die Beschäftigungszahl anzuheben. Ein Grund dafür ist, dass die Lohnstückkosten, durch den geringen Gehaltsanstieg und die hohe Produktivitätssteigerung der vergangenen Quartale, den größten yoy Rückgang der letzten sechzig Jahre (ab 1947 werden Statistiken geführt) verzeichnet haben. Dadurch sind die Gewinne gestiegen und Arbeit ist attraktiver geworden. Drittens hat die USNotenbank bei ihrem Treffen im Juni erneut verkündet, dass die Zinsraten „für längere Zeit außergewöhnlich niedrig“ bleiben werden. Eine leichte Verlangsamung wird auch für die Schwellenländer erwartet. Einige unter ihnen müssen das Tempo zügeln, um einer aufkeimenden Inflation und Aktienblase vorzubeugen. Deshalb hat Brasilien nach der letztjährigen sehr hohen Realwachstumsrate, die ihren Höhepunkt im ersten Quartal bei mehr als 10% hatte, den Leitzinssatz angehoben. Die aktuellen Arbeitsstreitigkeiten in China, die von hohen Gehaltssteigerungen gefolgt wurden, und die neue Währungspolitik sind positive Veränderungen, die den Trend unterstützen, dass China sich weiter vom Wachstum durch Export entfernen und sich mehr auf ein Wachstum aufgrund der Binnennachfrage stützen wird. Trotzdem wird dies zwangsläufig ein sehr allmählicher Prozess sein. Derzeit werden die chinesischen Arbeiter klar unterbezahlt. Der Anteil der Arbeitslöhne und Gehälter am BIP ist seit mehr als zwei Jahrzehnten am sinken und beträgt derzeit nur 37%. In Schweden liegt der Vergleichswert bei 2/3 des BIP. Das „macht China zur 'kapitalistischsten' Großwirtschaft aller Zeiten“ (FT 4. Juni). Andernorts hat Estland die lang ersehnte Belohnung für die Mühen der letzten Jahren erhalten, da das Land nächstes Jahr den Euro als Landeswährung einführen wird. Die Meinungen scheiden sich bezüglich der Aussichten der Eurozone. Die Pessimisten stützen sich zum Teil nur auf grobe Berechnungen und warnen vor dem Rückfall in eine Rezession. Außerdem wird ihnen zufolge zumindest Griechenland seinen Verpflichtungen nicht nachkommen können, was eventuell von einem Zerfall der gesamten Währungsunion gefolgt wird. Gleichzeitig sehen Optimisten, die sich auf detailliertere Analysen beziehen, eine Fortsetzung des Wachstums voraus, das nach einer kurzfristigen Verlangsamung im nächsten Jahr sogar an Tempo zulegen wird. Sehen sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr? Bislang wird die optimistischere Einschätzung durch aktuelle Umfragen unterstützt. Der gerade erst veröffentlichte Juni-Bericht der EU Kommission über das Unternehmens- und Konsumentenklima hat einen Zuwachs errechnet. Die EZB wird weiterhin eine sehr expansive Geldpolitik verfolgen. Schweden ist zumindest unter seinen europäischen Mitschülern der Musterschüler. Die Umfragen sind recht optimistisch. Der Wirtschaftstrendindikator für Juni des schwedischen Wirtschaftsforschungsinstitut (KI) signalisiert ein deutlich besseres Unternehmens- und Konsumentenklima als normal. Das reale Wachstum der Industrie und des Einzelhandels hat zu den optimistischen Umfragen aufgeschlossen und sogar der Arbeitsmarkt zeigt eine Verbesserung. Die neue Prognose des KI schätzt die Realwachstumsrate auf starke 3,7% für dieses Jahr, gefolgt von 3% in 2011. Als Erinnerung: Die vorangegangene Rezession war so tief gewesen, dass die schwedische Wirtschaft es gerade erst geschafft hat wieder auf ihren Stand von vor vier Jahren zu klettern! Deshalb gibt es weder Lohn- noch Preisdruck und die Inflationsrate lag im Mai bei nur 1,2% (1.9% nach der HVPI Methode der Eurozone). Dennoch hat die Reichsbank es mehr oder weniger versprochen, den Leitzins am ersten Juli (am morgigen Tag) anzuheben.
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