Deutschland im Aufschwung – Wirtschaftspolitik vor wichtigen Entscheidungen
Die durch die Finanzkrise offen gelegten strukturellen Probleme sind noch nicht überwunden. In den USA ist die Verschuldung der privaten Haushalte nach wie vor hoch. Der Immobiliensektor ist stark geschrumpft, und auch der Finanzsektor hat sich noch nicht vollständig erholt. Die Arbeitslosigkeit verharrt auf hohem Niveau. In einer ähnlichen Lage wie die USA befinden sich westeuropäische Länder wie Spanien, Großbritannien und Irland, in denen ebenfalls Hauspreisblasen geplatzt sind. Aufgrund der drastisch verschlechterten Haushaltslage sieht sich die Finanz- politik in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften inzwischen gezwungen, auf einen Konsolidierungskurs umzuschwenken. In wichtigen Schwellenländern ist die wirtschaftliche Erholung bereits so weit fortgeschritten, dass die Wirtschafts- politik inzwischen bemüht ist, eine konjunkturelle Überhitzung zu verhindern. Die konjunkturelle Dynamik in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften wird im Prognosezeitraum nur noch gering sein. In den USA werden die Investitionen in Ausrüstungen zwar weiter von hohen Gewinnen und niedrigen Zinsen angeregt, und der Konsum bleibt moderat aufwärtsgerichtet. Ein kräftiger Aufschwung ist vorerst aber nicht in Sicht, weil die strukturellen Probleme fortbestehenden. Auch in der Europäischen Union bleibt die Erholung verhalten, vor allem aufgrund der dämpfenden Wirkungen der ausgeprägt restriktiven Finanzpolitik. In den meisten Schwellenländern bleibt das Expansionstempo zwar vergleichsweise hoch, es wird aber geringer sein als im ersten Halbjahr 2010. Da es also insgesamt nicht zu einem kräftigen weltwirt- schaftlichen Aufschwung kommt, wird das Preisklima ruhig bleiben. Alles in allem dürfte die Weltproduktion in diesem Jahr um 3,7 % und im nächsten Jahr um 2,8 % expandieren. Der Welthandel wird 2010 im Vorjahresvergleich um 12 % zulegen. Nächstes Jahr dürfte der Anstieg 6,8 % betragen, was in etwa dem Durchschnitt der vergangenen zwei Jahrzehnte entspricht. Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Aufschwung. Sie ist auf gutem Weg, den krisenbedingten Produktionseinbruch wettzumachen. Dabei hat die Erholung an Breite gewonnen. So wird die Expansion – anders als im Verlauf des Vorjahres – nicht mehr allein von einem Anstieg der Exporte und einem Umschwung bei den Lagerinvestitionen getrieben. Vielmehr ist in diesem Jahr auch die Binnenkonjunktur angesprungen, sowohl die privaten Konsumausgaben als auch die Unternehmensinvestitionen legten spürbar zu. Zwar deuten viele Frühindikatoren darauf hin, dass sich das konjunkturelle Tempo nach dem Zwischenspurt im 2. Quartal nun verlangsamt. Doch liegen die Stimmungs- indikatoren nach wie vor auf einem sehr hohen Niveau, und die Auftragseingänge in der Industrie sind aufwärts gerichtet. Die Institute erwarten, dass sich die konjunkturelle Erholung im Prognosezeitraum zwar fortsetzt, das Tempo allerdings spürbar geringer sein wird als in der ersten Hälfte dieses Jahres. Maßgeblich hierfür ist, dass die weltwirtschaftliche Expansion an Fahrt verliert. In der Folge wird der Außenhandel wohl kaum noch zum Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts beitragen. Damit wird die Inlandsnachfrage das Tempo der Expansion bestimmen. Stützend wirkt, dass die monetären Rahmenbedingungen hier- zulande als sehr günstig einzuschätzen sind. Stimuliert wird die Binnennachfrage darüber hinaus durch die weitere Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt. Im zweiten Halbjahr 2010 verliert der Produktionsanstieg an Schwung. Die Zunahme der Ausfuhr lässt spürbar nach. Auch dürfte sich die hohe Dynamik bei den Ausrüstungsinvestitionen nicht fortsetzen. Die Bauinvestitionen werden ebenfalls langsamer zunehmen. Beim privaten Konsum bahnt sich hingegen eine Wende an; erstmals seit mehreren Jahren ist mit einem spürbaren Anstieg zu rechnen. Für das Jahr 2010 prognostizieren die Institute eine Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts um 3,5 %. Die Zahl der Arbeitslosen wird auf 3¼ Mill. sinken. Mit der kräftigen konjunkturellen Erholung wird die Zunahme des Budgetdefizits des Staates gebremst. Die Defizitquote fällt allerdings mit 3,8 % deutlich höher aus als im Jahr 2009, vor allem weil die Finanzpolitik im laufenden Jahr noch expansiv ausgerichtet ist.
Im kommenden Jahr wird das Tempo der konjunkturellen Expansion merklich langsamer sein als in diesem, die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung dürfte nur noch wenig zunehmen. Im späteren Verlauf des Jahres dürfte die Konjunktur leicht anziehen, zumal die Weltwirtschaft dann etwas an Fahrt gewinnt. Für den Jahresdurchschnitt 2011 erwarten die Institute einen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 2,0 %. Die Lage am Arbeitsmarkt wird sich dabei weiter verbessern. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte im Jahresdurchschnitt erstmals seit 1992 unter 3 Mill. liegen. Damit verringert sich die Arbeitslosenquote in der Definition der Bundesagentur für Arbeit auf 7,0 %. Die Inflationsrate wird im kommenden Jahr anziehen und voraus- sichtlich 1,6 % betragen. Das Budgetdefizit des Staates dürfte sich infolge der Konsolidierungsmaßnahmen und des Auslaufens der Konjunkturprogramme, aber auch konjunkturbedingt zurückbilden. Es ist damit zu rechnen, dass die Defizitquote im nächsten Jahr bei 2,7 % liegen wird. Für die Prognose bestehen beträchtliche Risiken. So ist die Wahrscheinlichkeit keineswegs gering, dass die USA erneut in eine Rezession geraten. Zudem könnte es in China als Folge von Übersteigerungen an dortigen Immobilienmärkten zu einer massiven Korrektur kommen. Auch ist die Schulden- und Vertrauenskrise einiger Staaten im Euroraum keineswegs ausgestanden. Eine Zuspitzung mit generell höheren Risikoprämien für Anleihen im Euroraum oder gar einer Inanspruchnahme des Europäischen Finanzstabilisierungsme- chanismus durch ein Schuldnerland würde sich auch auf die deutsche Konjunktur auswirken. Die Bundesregierung hat angekündigt, auf einen der Schuldenbremse genügenden finanzpolitischen Kurs umzuschwenken. Die Kritik, dass dies die Erholung gefährden könne, ist unbegründet. Vielmehr ist während der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich geworden, dass große und insbesondere globale Schocks nur von finanziell gut aufgestellten Staaten in den Griff zu bekommen sind. In Deutschland ist der öffentliche Schuldenstand durch die Rettungs- und Konjunkturpakete von 66 % im Jahr 2008 auf 75 % im Jahr 2010 in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt gestiegen. Verharrte die Quote auf diesem Niveau oder stiege sie sogar weiter, so wäre auch hierzulande die Handlungsfähigkeit bei künftigen Schocks erheblich verringert. Daher sollte die Quote deutlich verringert werden, langfristig auf einen Wert unter 60 %, wie es der Vertrag von Maastricht vorsieht. Auf der Ebene der Europäischen Währungsunion hat die Schulden- und Vertrauenskrise erheblichen Handlungsbedarf offen gelegt. So hat der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) offensichtlich das Ziel verfehlt, in allen Mitgliedsländern eine solide Finanzpolitik zu gewährleisten. Die Mitgliedsländer haben im Mai versucht, der Krise mit einem zunächst befristeten Rettungspaket für das akut von der Zahlungsunfähigkeit bedrohte Griechenland Herr zu werden. Dies ist langfristig mit gravierenden Nachteilen verbunden, insbesondere falls die Befristung aufgegeben werden sollte. Dann könnten sich finanzielle Ansprüche an die Nettogeberländer in der EU verstetigen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise bestätigt die zentrale Erkenntnis, dass marktwirt- schaftliche Systeme nur funktionieren, wenn diejenigen, die Allokationsentscheidungen fällen, auch deren Konsequenzen tragen. Das hierdurch zum Ausdruck kommende Haftungs- prinzip sowohl auf staatlicher als auch auf privatwirtschaftlicher Ebene kann jedoch nur dann glaubhaft angekündigt und durchgesetzt werden, wenn davon keine unverhältnis- mäßig hohen Kosten für die Allgemeinheit ausgehen. Bisher konnten Akteure wie Staaten oder große Banken mit Verweis auf ihre systemische Relevanz darauf vertrauen, dass die Gemeinschaft ihre Insolvenz verhindern würde. Dies führte zu einer aus volks- wirtschaftlicher Sicht kostspieligen Fehlallokation von Kapital, die sich insbesondere in einer verzerrten Bepreisung von Risiko manifestierte. Daher sind Maßnahmen wie entsprechende Insolvenzordnungen erforderlich, die im Ernstfall die Ansteckung Dritter unwahrscheinlicher machen. Ohne solche Vorkehrungen wird die Ankündigung, dass unsolide wirtschaftende Akteure nicht mit Mitteln der Allgemeinheit gerettet werden, unglaubwürdig bleiben. Im Gegensatz dazu sind Maßnahmen abzulehnen, die eine risikoadäquate Preisbildung auf Vermögensmärkten verhindern. Dazu würden beispielsweise die Entfristung des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus oder die Einführung von gepoolten Staatsanleihen der Euroländer zählen. Am 29. September 2010 hat die EU-Kommission eine Reihe von Reformvorschlägen vorgelegt, die das institutionelle Rahmenwerk der EU im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik verbessern sollen. Aus Sicht der Institute können diese Vorschläge Maßnahmen, die eine geordnete Insolvenz systemrelevanter Akteure ermöglichen, nicht ersetzen. Ein strengerer SWP löst nicht das Problem, dass die Investoren im Zweifelsfall auf einen Bail-Out spekulieren, er könnte aber als ergänzende Maßnahme sinnvoll sein. Dem von der EUKommission vorgeschlagenen Mechanismus zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, insbesondere den davon abgeleiteten Sanktionen, stehen die Institute dagegen äußerst kritisch gegenüber. Erstens ist es selbst im Nachhinein schwierig, Ungleichgewichte zu identifizieren. Zweitens ist die nationale Wirtschaftspolitik nicht in jedem Fall der richtige Adressat. So sind übermäßig erscheinende Lohn- und Preisentwicklungen, aber auch hohe Leistungs- bilanzsalden in einer Marktwirtschaft nicht durch die Regierung steuerbar. Drittens würde der Mechanismus die Verweigerung eines Bail-Out von Staaten, deren Probleme von den Frühwarnsystemen nicht erfasst wurden, noch unglaubwürdiger machen. Letztlich wird damit die Koordination durch Märkte verdrängt durch zentrale staatliche Koordination und das Haftungsprinzip würde weiter beschädigt. In der europäischen Diskussion wird zuweilen gefordert, Deutschland müsse seine Binnennachfrage stärken und damit zum Abbau von Divergenzen im Euroraum beitragen. Tatsächlich ist die Binnennachfrage in Deutschland im zurückliegenden Jahrzehnt sowohl im Vergleich zur Dekade zuvor als auch im Vergleich zu einigen anderen europäischen Ländern nur sehr moderat gestiegen. Beide Vergleichsmaßstäbe tendieren freilich dazu, diese Schwäche zu überzeichnen. So waren die neunziger Jahre durch eine sehr ausgeprägte Investitionstätigkeit im Nachgang der deutschen Vereinigung und die deutliche Erhöhung der Wohnbevölkerung insbesondere in Westdeutschland gekennzeichnet. Der Vergleich mit anderen Ländern in Europa verzerrt das Bild ebenfalls. Zum einen hatten viele Länder nach der Jahrtausendwende einen Sonderboom infolge des mit der europäischen Währungsunion verbunden Anstiegs der Einkommenser- wartungen sowie des Zinsrückgangs. Zum anderen war dort die demographische Entwicklung günstiger. All dies verringerte die Attraktivität Deutschlands für Investitionen zugunsten des Auslands.
Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik an der durchschnittlichen Lage im Euroraum ausrichtet. Daher war das Zinsniveau in den aufholenden Ländern zu niedrig. Auch die Einschätzung der Kapitalanleger, dass der Ausfall von Schuldtiteln der Länder mit großen Haushaltsproblemen verhindert würde, hat dazu beigetragen, dass sich das Zinsniveau in diesen Ländern nicht durch risikoadäquate Aufschläge erhöhte. Für Deutschland war das Zinsniveau hingegen tendenziell zu hoch und wirkte dämpfend. Wirtschaftspolitische Maßnahmen zum Abbau der Divergenzen müssen an den Ursachen ansetzen. Vor allem müssen nach dem Wegfall der nationalen Geldpolitik die für die Herstellung innen- und außenwirtschaftlicher Gleichgewichte erforderlichen marktwirtschaftlichen Lohn- und Preisanpassungen zugelassen werden. Außerdem ist die Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union dahingehend zu reformieren, dass Fehlentwicklungen in einzelnen Ländern den Erfolg der Europäischen Integration insgesamt nicht gefährden. Eine Behandlung des Symptoms einer relativ schwachen Dynamik der Binnennachfrage, z.B. durch höhere Staatsausgaben, wäre nicht sinnvoll, da sie erstens mit großer Wahrscheinlichkeit nicht hinreichend wirksam wäre und zweitens vermutlich neue Verzerrungen und Ineffizienzen herbeiführen würde.
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